Hast du schon von Artemisia Gentileschi gehört? Sie war die berühmteste Malerin der Barockzeit, bekannt und geschätzt für ihre Historienbilder, in deren Mittelpunkt fast immer heroische Frauen standen. Sie verkehrte mit den Berühmtheiten ihrer Zeit, war befreundet unter anderem mit Galileo Galilei und Michelangelo Buonarroti dem Jüngeren, und sie malte für die mächtigsten Herrscherhäuser Europas. 

Nach ihrem Tod geriet Artemisia Gentileschi in Vergessenheit. Anders als ihren männlichen Kollegen blieb ihr die Anerkennung für ihre Werke lange verwehrt.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als die feministische Bewegung an Fahrt aufnimmt, wird Artemisia Gentileschi wiederentdeckt und erlangt eine neue Bedeutung. Sie wird zur Galionsfigur dieser Bewegung. Denn ihre Kunst und ihre Lebensgeschichte zeigen die Stärke und den Kampfgeist der Frauen. 

Artemisia im Kontext ihrer Zeit

Als Artemisia 1593 geboren wird, geht gerade die Renaissance zu Ende. Kunst steht in einem wechselseitigen Beeinflussungsverhältnis zu Geschichte, Traditionsbewusstsein und Gesellschaft, denn Künstler reagieren auf Entwicklungen und Veränderungen ihrer Zeit. So können im künstlerischen Dialog mit Politik, Religion, Gesellschaft, sozialen und kulturellen Strömungen neue Kunstepochen entstehen.

Die bis ca. 1600 dauernde Renaissance war geprägt vom Rückgriff auf und Inspiration durch klassische Kunst und Kultur der Antike und humanistische Ideale. Der Mensch stand im Zentrum seiner Welt und sollte das volle Potenzial seines Verstandes ausschöpfen. Das führte zu wissenschaftlichen Errungenschaften - und auch die Kunst stellte das Individuum in den Mittelpunkt.

Die Menschen lösten sich von Kirche und Gott. 1517 schlug Martin Luther seine Thesen an die Kirchentür der Schlosskirche in Wittenberg, der Startpunkt der Reformation. Sie führte zu einer Spaltung der westlichen Christenheit in katholische und protestantische Konfessionen und zu Konflikten der verschiedenen Gruppen. Um 1600 verschärften sich diese Konflikte und gipfelten schließlich 1618 im Dreißigjährigen Krieg.

In diesen gesellschaftlichen und kulturellen Spannungsverhältnissen wächst Artemisia auf.

Kindheit und Jugend 

Malerei ist das Familienhandwerk. Ihr Vater ist der angesehene römische Maler Orazio Gentileschi. Er verkehrt in den Künstlerkreisen der Stadt und ist unter anderem mit Caravaggio befreundet, einem der ersten großen Vertreter des Barock. 

Auch die Zersplitterung Italiens in miteinander konkurrierende, einander befehdende und häufig im Krieg miteinander liegende Fürsten-, Herzog- und Vizekönigtümer lassen ein größeres Verlangen nach Ordnung, Autorität und Stabilität entstehen. Diesen Wunsch nutzt die katholische Kirche, um den Herausforderungen des "wahren Glaubens" in der Renaissance zu begegnen, und setzt zur Gegenreformation an. Sie bemüht sich intensiv um die Rückgewinnung der Gläubigen. Kunst und Architektur werden zu Propagandamitteln.

So entsteht der Barockstil. Die zumeist religiösen Themen werden opulent und dramatisch inszeniert. Die Bilder sollen Sinnlichkeit und eine stark emotionalisierende Wirkung vermitteln. Das unterstützt die Botschaft der katholischen Kirche, entspricht aber auch den beiden entgegengesetzten Lebensgefühlen der Zeit: Momento mori - Bedenke, dass du sterben wirst - auf der einen und Carpe diem - Nutze den Tag, genieße das Leben - auf der anderen Seite.

Artemisia ist gerade 12 Jahre alt, als ihre Mutter stirbt. Von da an wächst sie im Atelier des Vaters auf. Das Haus darf sie kaum verlassen, so soll ihre Sittsamkeit sichergestellt werden.
Orazio Gentileschi bildet Artemisia und ihre zwei Brüder in der Malerei aus und lehrt sie von klein auf die feinen Nuancen der Kunst. Doch vor allem Artemisia zeigt Interesse und Begabung.

Dramatik und Realismus: Die Farbpalette von Artemisia Gentileschi

Eine künstlerische Ausbildung ist den Frauen zu Artemisias Zeiten kaum zugänglich. An Akademien sind sie nicht zugelassen. Sie dürfen weder Verträge abschließen noch Mitglied in einer Zunft werden. Ohne männliche Erlaubnis dürfen sie nicht einmal Farben kaufen. Artemisia kann nur zur Malerin ausgebildet werden, weil ihr Vater Künstler ist und sie selbst ausbildet.

Sie ist nicht die erste bekannte Malerin. Wie sie stammen die meisten ebenfalls aus Künstlerfamilien. Doch anders als ihre Geschlechtsgenossinnen widmet sich Artemisia nicht Stillleben, Porträt- oder Landschaftsmalerei. Artemisia malt große Historiengemälde, greift biblische oder mythologische Bildthemen auf. Und sie malt weibliche Akte! All das war bis dahin - und auch lange danach - den Männern vorbehalten.

Dramatische Kompositionen, starke Emotionen, tiefgreifende Licht- und Schatteneffekte sowie eine intensive Betonung von Bewegung und Dynamik sind typisch für den Barockstil. Und Artemisia beherrscht ihn vorzüglich.

Vergewaltigung und Prozess 

Der Vater erkennt früh das Talent seiner Tochter und ist beeindruckt. Um ihre Technik zu verfeinern, bittet er 1611 den befreundeten Kollegen Agostino Tassi Artemisia zu unterrichten. Tassi ist Landschaftsmaler und soll sie in die Kunst der Perspektive einführen. Als der Vater außer Hause ist, vergewaltigt Tassi die siebzehnjährige Artemisia auf brutalste Weise.

Nun ist sie keine Jungfrau mehr, was im patriarchalischen Denksystem des 17. Jahrhunderts als Entehrung ihrer Familie gilt. Damit setzt Tassi das junge Mädchen unter Druck. Er verspricht ihr die Ehe (Artemisia hofft so wieder "gut" zu werden), wenn sie ihm zu Willen ist und beutet sie weiter über Monate hinweg aus.

Ihr Vater scheint von diesen Vorgängen zu wissen. Aber erst als herauskommt, dass Tassi bereits verheiratet ist, zeigt Orazio ihn an. Es kommt zu einem 7 Monate andauernden Prozess, dessen Protokolle bis heute erhalten sind.
Übrigens, in dem Prozess ging es nicht um die Gewalt, die Artemisia angetan wurde oder darum, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ging um Genugtuung für Orazio, der ja nun eine "beschädigte" Tochter zu verheiraten hatte ...

Und wieder wird Artemisia Gewalt angetan. Nicht nur muss sie sich den demütigenden Fragen des Verteidigers, sowie dem Hohn, Spott und den Verleugnungen ihres Vergewaltigers stellen und die ganze Vergewaltigung noch einmal durchleben, sie muss vor Gericht eine gynäkologische Untersuchung und eine Befragung unter Folter(!) erleiden.
Ihre Finger werden mit Schnüren umwickelt und immer fester zusammengezogen, bis Artemisia vor Schmerzen schreit: "È vero, è vero, è vero." - es ist wahr, es ist wahr, es ist wahr. Eine Prozedur übrigens, die ihre Finger hätten brechen und ihre Karriere als Malerin damit für immer beenden können.

Am Ende wird Tassi tatsächlich schuldig gesprochen und zu 5 Jahren Exil verurteilt. Aufgrund seiner guten Beziehungen tritt er diese Strafe allerdings nicht an, der Papst selbst verhindert seine Verbannung. Tassis Karriere verläuft ungebrochen weiter. Sogar Orazio nimmt die Freundschaft mit ihm wieder auf (Tassi verlässt Rom erst einige Jahre später, als er wegen einer Schlägerei wieder unter Anklage gerät).

Artemisia aber ist vor aller Augen entehrt. Umgehend verheiratet Orazio sie mit dem florentinischen Künstler Pierantonio Stiattesi und die jungen Eheleute verlassen Rom.

Maria Magdalena - Artemisia Gentileschi (Bildquelle: Wikimedia Commons) | Zum Vergrößern bitte anklicken.

Die Ermächtigung der Frau über männliche Gewalt

Die Kunsthistoriker sind sich uneins darüber, ob Artemisia in ihrer Kunst ihre Vergewaltigung verarbeitet und mit den Männern abgerechnet hat, oder nicht. Die einen sehen eine klare Verbindung, die anderen sagen, es wäre falsch, sie auf eine Opferrolle zu reduzieren.

Artemisia war eine ernstzunehmende Künstlerin und eine gute Geschäftsfrau. Natürlich wäre es viel zu kurz gedacht, anzunehmen, in ihrer Malerei hätte sie ihr "Seelchen trösten" wollen und sie hätte in der Sicherheit ihres Ateliers ihren Rachedurst gestillt.

Ihre Motive sind populäre Motive ihrer Zeit. Motive, die sich gut verkaufen ließen. Motive, die auch von Männern gemalt wurden. Aber anzunehmen, ihre Erfahrungen - als Frau und als Überlebende - wären nicht in ihre Kunst eingeflossen, wäre ebenfalls naiv.

Artemisia Gentileschi - Susanna und die beiden Alten (Bildquelle: Wikimedia Commons)

Es ist die Art und Weise, wie sie malt, nicht, was sie malt. Ihrer Susanna sieht man die Bedrängnis an, die sie empfindet. Im Gegensatz zu einigen ihrer männlichen Kollegen, die das Motiv ebenfalls bearbeitet haben, spielt Lust bei Artemisia Gentileschi keine Rolle. Zum ersten Mal malt Artemisia dieses Motiv (siehe Abb. oben), als sie gerade 16 Jahre alt ist, also noch vor der Vergewaltigung. Die Erfahrung von drängender männlicher Aufmerksamkeit mag sie aber auch als junges Mädchen schon gemacht haben.

In ihren Gemälden zeigt Artemisia die weibliche Perspektive. Ihre Frauen sind kein Ideal weiblicher Schönheit, sondern handelnde und fühlende Menschen aus Fleisch und Blut.

Hauptwerk: Judith enthauptet Holofernes

Die Geschichte von Judith und Holofernes wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder in der Kunst dargestellt. Sie handelt von der schönen Witwe Judith, die in Bethulien, einer Stadt im antiken Israel lebt.
Holofernes, ein assyrischer General, belagert die Stadt und droht, sie zu zerstören. Judith beschließt, ihr Volk zu retten, indem sie zum Lager Holofernes geht. Dort gewinnt sie sein Vertrauen, wird zu einem Bankett eingeladen und wartet auf eine günstige Gelegenheit. In einer Nacht, als Holofernes betrunken schläft, enthauptet Judith ihn.

Sie ging ganz nahe zu seinem Lager hin, ergriff sein Haar und sagte: Mach mich stark, Herr, du Gott Israels, am heutigen Tag! Und sie schlug zweimal mit ihrer ganzen Kraft auf seinen Nacken und hieb ihm den Kopf ab.

Judit 13,7 + 13,8

Für die Kirche ist Judith die Überwinderin des Bösen, was sie während der Gegenreformation zu einem beliebten Bildthema macht. Die meisten Darstellungen zeigen allerdings nicht die Tat selbst. Entweder wird Judith mit dem Haupt (offen oder in einem Korb) oder die Auffindung des kopflosen Holofernes dargestellt. Es finden sich in der Kunstgeschichte zwei berühmte Ausnahmen. Eine von Caravaggio, die andre von Artemisia. Hier ein Vergleich der beiden Werke:

Michelangelo Merisi da Caravaggio - Judith enthauptet Holofernes (Bildquelle: Wikimedia Commons)

Beide Gemälde fangen den dramatischsten Moment der Geschichte ein und zeigen keine Scheu vor der Darstellung von Brutalität und blutiger Gewalt. Trotzdem ist die Wirkung beider Gemälde ganz unterschiedlich.

Beide Werke sind typisch für den Barock: Dynamik und intensive Hell-Dunkel-Kontraste, starker Ausdruck, große Gesten und eine dramatische Inszenierung. Doch Artemisia bringt ihre Figuren mehr in den Vordergrund und sie rückt sie näher zusammen. Das macht ihr Bild noch dynamischer.

Caravaggio idealisiert Judith in ihrer Schönheit. Diese wird zusätzlich hervorgehoben durch die Hässlichkeit ihrer Dienerin und den Schrecken des sterbenden Holofernes, die außerdem beide im Schatten liegen, während Judith, hell und strahlend, das Schwert führt. Dadurch wird die moralische Bedeutung ihrer Handlung betont - der Triumph des Guten über das Böse.

Artemisia hingegen malt die Geschichte aus einem anderen Blickwinkel. Ihre Judith ist keine unnahbare Heldin, sondern eine reale Frau in einer realen Situation. Und ihre Dienerin keine bloße Staffage, sondern eine aktive Komplizin.

Artemisia hatte die Erfahrung gemacht, dass eine Frau allein einem starken Mann körperlich nicht gewachsen ist. Es braucht weibliche Solidarität, um ihn zu überwältigen. Beide Figuren wirken glaubwürdig und kraftvoll in ihren Handlungen, ohne idealisierte Anmut oder Schönheit. Man sieht ihnen die körperliche Anstrengung an. Ihre muskulösen Arme - typisch für Artemisia - sind angespannt, ihre Minen entschlossen und unerschrocken.

Während Caravaggio eher das Transzendente und Ewige betont, ist Artemisias Version der Geschichte grausamer und menschlicher zugleich.

Artemisia Gentileschi - Judith enthauptet Holofernes (Bildquelle: Wikimedia Commons)

Der Stil der Artemisia

Ihre Darstellung ist realistisch, naturalistisch. Wie ihr künstlerisches Vorbild Caravaggio wählt Artemisia echte Menschen ohne hohen Rang zu ihren Modellen. Doch sie geht noch weiter und verzichtet auf jegliche Idealisierung.

Die Farben in Artemisias Werken sind tief und intensiv und sie ist bekannt für ihre leidenschaftlichen Darstellungen von menschlichen Figuren, insbesondere Frauen, von opulenten Stoffen und zarten Spitzendetails. Ebenso wie für ihre bemerkenswerte Verwendung von Licht und Schatten, um Dramatik und Intensität zu erzeugen. Sie beherrschte die Techniken des Chiaroscuro, bei denen Kontraste zwischen Licht und Schatten stark betont werden, um Tiefe und Volumen zu erzeugen.

Artemisia Gemälde entfalten eine ungeheure Wucht und Ausdruckskraft. Emotionen wie Liebe, Hass, Rache, Hochmut und Sehnsucht sind geradezu spürbar. Sie war eine herausragende Geschichtenerzählerin, die ihre Szenarien aus den tiefsten Gefühlen ihrer Figuren entwickelte. 

Florenz

In Florenz kann Artemisia ihren beschädigten Ruf hinter sich lassen. Als verheiratete Frau wird sie respektiert. Im Haus ihrer Schwiegereltern richtet sie ihr Atelier ein und beginnt gleich zu malen. 7 Jahre bleibt sie in Florenz und entwickelt sich hier zu einer selbstständigen Künstlerin.

Ihr Vater schrieb an die Herzogin von Lothringen: Artemisia (die zu diesem Zeitpunkt erst 19 Jahre alt ist) habe "bereits Kunstwerke geschaffen, die vielleicht große Meister dieses Handwerks nicht erreichen werden".
Die Herzogin stellt sie wahrscheinlich ihrem Sohn, Cosimo II., Oberhaupt des Hauses Medici, vor.

Artemisia verkehrt mit Künstlern und Gelehrten, lernt lesen und schreiben und genießt die Schirmherrschaft des Hauses Medici. Man nennt sie „La Pittora“ - die Malerin.

Der Name, den Artemisia Gentileschi sich in dieser Zeit macht, bereitet den Boden für ihre über 40 Jahre andauernde Karriere. 1616 wird sie, als erste Frau, in die Accademia delle Arti del Disegno, die Akademie der Zeichenkünste, aufgenommen. Ihr bedeutet es mehr als nur Ehre. Artemisia darf nun (ohne die Erlaubnis eines Mannes!) selbst Farben und Künstlerbedarf kaufen. Und sie darf die Verträge mit ihren Auftraggebern selbst unterschreiben.

Trotz aller Widrigkeiten, denen sie als Frau in einem von Männern dominierten Gebiet ausgesetzt gewesen sein muss, macht sie das finanziell unabhängig und zur Herrin über ihr eigenes Leben.

In den 7 Jahren in Florenz bekommt Artemisia 5 Kinder und sieht 3 von ihnen sterben. Von den zwei ihr verbliebenen Kindern erreicht nur ihre Tochter Prudentia das Erwachsenenalter. Cristofano, ihr Sohn, stirbt kurz nach ihrer Rückkehr nach Rom.

Über die Ehe selbst ist nicht viel bekannt. Ihr Gatte Stiattesi fungiert als eine Art Agent für seine Frau. Er kümmert sich um den Verkauf ihrer Bilder und um die Geldgeschäfte - nur nicht besonders gut.

Stiattesi nutzt jede Gelegenheit, um Schulden zu machen. In Künstlerkreisen in der damaligen Zeit nicht unüblich, aber die finanziellen Schwierigkeiten werden immer größer. Wahrscheinlich muss das Ehepaar Florenz wegen unbezahlter Rechnungen verlassen.

Selbstporträt als Allegorie der Malerei - Artemisia Gentileschi (1638/1639) | Zur vollständigen Ansicht bitte anklicken.

Rückkehr nach Rom und Venedig

1620 kehren sie nach Rom zurück. Doch die Ehe zerbricht kurz darauf und Pierantonio verschwindet aus der Geschichte.
Artemisia ist nun eine anerkannte Künstlerin. Zu ihren einflussreichsten Mäzenen gehören der Kardinal Francesco Barberini und sein Sekretär Cassiano Dal Pozzo. Sie machen sie auch mit befreundeten Künstlern und Künstlerinnen bekannt. Dazu gehören unter anderem Nicolas Poussin, Simon Vouet, und Giovanna Garzoni. 

Besonders der Franzose Simon Vouet und sein Stil des Tenebrismus - eine kontrastreichere Form des Chiaroscuro - beeinflussen sie sehr. In Rom bewegt sich Artemisia eher im Kreis französischer und niederländischer Künstler. 

Der Königsweg zum Erfolg als Künstler in Rom in den 1620er Jahren ist es, großformatige Altarbilder und Freskendekorationen in Kirchen zu malen. Hierfür bekommt Artemisia als Frau keine Aufträge - und ihre Gemälde werden öffentlich nicht ausgestellt.

So nutzt sie die Jahre in Rom zur Neuorientierung und wendet sich der Porträtmalerei zu. Hier hat sie sogar einen gewissen Vorteil. Denn die Herren der Stadt haben kein Problem damit, dass ihre Ehefrauen und Töchter einer Frau stundenlang in intimer Atmosphäre Modell stehen.

Darüber hinaus bekommt sie eine Reihe von privaten Aufträgen für historische Bilder. Ihr Ruhm verbreitet sich über ganz Italien und darüber hinaus.

Ende 1626 oder Anfang 1627 verlässt Artemisia Rom wieder und geht nach Venedig, dessen lebendige Kunstszene sie lockt. Vermutlich trifft sie hier wieder auf Simon Vouet und Nicolas Régnier, die sie bereits aus Rom kennt.

Artemisia fühlt sich zu Hause inmitten der Künstler Venedigs und wird sogar Mitglied der Accademia de' Desiosi, einer informellen Literaturakademie. Doch bereits nach 3 Jahren verlässt sie Venedig und nimmt eine Einladung des spanischen Vizekönigs nach Neapel an.

Neapel, England und zurück

Schon im Sommer 1630 ist Artemisia Gentileschi ein fester Bestandteil des dortigen künstlerischen Lebens. Ihr Förderer, der Vizekönig, Fernando Afán Enríquez de Ribera, 3. Herzog von Alcalá vermittelt ihr auch Aufträge nach Spanien. Unter anderem gehört die Schwester des spanischen Königs Phillip IV, die Infantin Maria von Spanien, zu ihren Auftraggebern.

Sie freundet sich mit Massimo Stanzione an, einem der führenden Künstler der Neapolitanischen Schule. Auch er spielt eine wichtige Rolle bei der Beschaffung von Aufträgen. Täglich besucht er sie in ihrem Atelier, um sie beim Malen zu beobachten. Auf subtile Weise beeinflussen beide sich gegenseitig in ihrer Kunst, ohne jedoch den Stil des anderen zu übernehmen.
Gemeinsam mit ihm und dem Maler Paolo Finoglia arbeitet sie an einem 6-teiligen Gemäldezyklus über das Leben des Heiligen Johannes. Dabei übernimmt sie den Part "Die Geburt des Heiligen Johannes des Täufers" (siehe Titelbild).

Überhaupt ist Artemisia stets bereit, ihren Stil weiterzuentwickeln und ihr Repertoire zu erweitern. In Rom begann sie Porträts zu malen, in Neapel zählen bald auch Allegorien und literarische Themen zu ihren Sujets.

Letzte Stationen

Artemisia lebt nicht gern in Neapel. Immer wieder schreibt sie in ihren Briefen, dass sie die Stadt verlassen möchte - doch ist sie voll in der neapolitanischen Kunstszene anerkannt und akzeptiert. Sie unterhält ihre eigene Werkstatt und beschäftigt darin sogar Männer. Und endlich erhält sie auch ihren ersten öffentlichen Auftrag und malt ihr erstes Altarbild: Die Verkündigung.

Die Verkündigung - Artemisia Gentileschi (Bildquelle: Wikimedia Commons)

So kommt es, dass Artemisia - gegen ihren bekundeten Willen -  den größten Teil ihrer Karriere in Neapel verbringt.

Jedoch reist sie 1638 für einige Jahre, vermutlich auf Einladung Charles' I. persönlich, nach London. Zu dieser Zeit hält sich auch ihr Vater Orazio, als Hofmaler, in London auf, beauftragt mit einer Deckenmalerei in der großen Halle im Queen's House in Greenwich. Er soll eine Allegorie des Friedens malen. Es wird angenommen, dass Artemisia ihm dabei half, dokumentiert ist dies allerdings nicht.

Orazio stirbt überraschend im Frühjahr 1639. Artemisia bleibt zunächst vor Ort. Möglicherweise stellt sie noch einige Aufträge Orazios fertig. Tatsächlich aber ist wenig bekannt, welche Arbeiten Artemisia in dieser Zeit ausführt. Wir wissen nur, dass sie London wieder verlässt, als 1642 der englische Bürgerkrieg ausbricht.

Sie kehrt nach Neapel zurück und, soviel wir wissen, verlässt sie die Stadt nicht mehr. 1652 signiert sie ihr letztes Werk - eine Susanna und die Alten, wie schon ihr erstes signiertes Bild, das sie mit 16 Jahren schuf.

Artemisias Sterbedatum ist nicht bekannt. 1654 soll sie noch eine überfällige Steuerrechnung gezahlt haben. Zwischen 1656 und 1658 wütet in Neapel die Pest und rafft mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung dahin. Vielleicht fällt auch Artemisia ihr zum Opfer.

Gesichert ist allerdings, dass sie auf dem Friedhof der Kirche San Giovanni di Fiorentini in Neapel beigesetzt wird. Doch ihre Grabplatte geht bei Restaurationsarbeiten verloren. In den Marmor sollen nur zwei Worte eingemeißelt gewesen sein: Heic Artemisia - Hier liegt Artemisia.

Die künstlerische DNA: Die Wegbereiter für Artemisias Kunst

In Artemisia Gentileschis Werk lassen sich verschiedene künstlerische Einflüsse erkennen, die ihre Entwicklung als Künstlerin geprägt haben. Einige der prominentesten Einflüsse sind:

Caravaggio: Artemisia wurde stark von Caravaggio beeinflusst. Er war einer der führenden Maler des Barock und mit ihrem Vater befreundet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Artemisia selbst mit ihm bekannt war. Sie bewunderte Caravaggios dramatische Darstellung von Licht und Schatten sowie seine realistische Darstellung der menschlichen Figur. Artemisia übernahm Elemente des Caravaggismus in ihrem eigenen Stil, einschließlich des Einsatzes von Chiaroscuro und der Betonung emotionaler Intensität in ihren Werken.

Orazio Gentileschi: Als ihr Vater und Mentor prägte Orazio Gentileschi, selbst von Caravaggios Stil beeinflusst, Artemisias künstlerische Entwicklung. Sie erlernte von ihm nicht nur die Grundlagen der Malerei, sondern übernahm auch seinen Sinn für Komposition und seine Vorliebe für dramatische Szenen. 

Römische Antike: Artemisia hatte auch an der Kunst der römischen Antike gelernt, insbesondere an Skulpturen und Reliefs, die sie in Rom studierte. Ihr Interesse an der Darstellung der menschlichen Figur und an dramatischen Gesten kann auf diese antiken Vorbilder zurückgeführt werden.

Renaissance einer Künstlerin: Artemisias Wiederentdeckung

1916 veröffentlicht der italienische Kunsthistoriker Roberto Longhi einen Essay mit dem Titel "Gentileschi, padre e figlia", "Gentileschi, Vater und Tochter". Darin widmete er sich erstmals Artemisia Gentileschis als eigenständige Künstlerin. Zunächst grenzt er Artemisias Werk von dem ihres Vaters Orazio ab. Diesem, Caravaggio und anderen Malern des Barock waren bis dahin viele ihrer Gemälde zugeschrieben worden, selbst dann, wenn sie von Artemisia signiert waren. Warum? Man traute solch technische Virtuosität einer Frau nicht zu.

Longhi würdigt Artemisia als eine herausragende Persönlichkeit der italienischen Kunstszene und betont ihre außergewöhnliche Beherrschung verschiedener künstlerischer Techniken. Besonders beeindruckt war er von ihrer Darstellung weiblicher Figuren. Er betonte die Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Mann in ihren Werken, sowohl inhaltlich als auch visuell.

Dies ist ein Wendepunkt in der Bewertung von Artemisia Gentileschi. Weitere Kunsthistoriker, Kuratoren und andere Fachleute engagieren sich und so beginnt allmählich ein Prozess der Wiederentdeckung und Wertschätzung ihres Werks. 

In den 1960er und 1970er Jahren erlebt die Aufmerksamkeit für Artemisia Gentileschi noch einen Aufschwung. Feministische Kunsttheoretikerinnen beginnen, die Werke von Künstlerinnen aus der Vergangenheit neu zu bewerten und ihre Beiträge zur Kunstgeschichte hervorzuheben.

Die Forschungen und Ausstellungen zu Artemisia Gentileschi nehmen zu, und ihr Werk erhält zunehmend internationale Aufmerksamkeit. Die Kombination aus intensiverer Forschung, feministischer Interpretation und einem allgemeinen Wandel in der Kunstgeschichtsschreibung führt dazu, dass Artemisia Gentileschis Beitrag zur Kunstgeschichte endlich anerkannt wird. Heute erzielen ihre Werke auf dem Kunstmarkt mehrere Millionen Euro.

Ikone der weiblichen Kunst

Artemisia Gentileschis Werk ist nicht nur aus kunsthistorischer Sicht von großer Bedeutung, sondern auch im Hinblick auf den Feminismus. Ihre Darstellungen von starken, entschlossenen Frauenfiguren fordern die traditionellen Rollenbilder heraus und inspirieren Generationen von Künstlerinnen. Ihr Vermächtnis zeigt, dass die Kunst keine Geschlechtergrenzen kennt und dass die Stimmen von Frauen in der Kunstgeschichte nicht länger ignoriert werden dürfen.

Was denkst du über Artemisia Gentileschi und ihr Erbe? Hat ihr Werk deine Sicht auf die Kunst und den Feminismus verändert? Kennst du andere Künstlerinnen, die ähnliche Themen oder Stile erkunden?
Ich bin gespannt auf deine Gedanken und darauf, welche Künstlerinnen dich inspirieren!

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About the Author Lea Finke

Lea Finke ist Künstlerin mit ganzer Seele. In ihrem Blog erzählt sie von Inspiration, Leidenschaft und der Begegnung mit Kunst.