Künstlerinnen sind nicht nur in Museen unterrepräsentiert. Überhaupt haben sie auf dem Kunstmarkt einen schwereren Stand als Männer, auch heute noch. Und seien wir ehrlich, nach großartigen Kunstwerken befragt, kommen den meisten von uns eher die Werke männlicher Künstler in den Sinn.
Und doch gibt und gab es viele wunderbare Künstlerinnen (zum Beispiel hier:Artemesia Gentileschi). Deshalb fiel es mir auch nicht leicht, mich für ein Kunstwerk - oder auch nur für eine Künstlerin - zu entscheiden, als ich Sandra Stops Blogparaden-Thema las: Kunst von Frauen: Mein liebstes Kunstwerk.
Eine Blogparade ist immer eine feine Sache. Nicht nur, weil sie dazu inspiriert, über Themen zu schreiben, auf die man sonst vielleicht gar nicht gekommen wäre, sondern auch, weil viele über das gleiche Thema schreiben und man so auch viele verschiedene Perspektiven kennenlernt. Darum freue ich mich auch immer, wenn Judith Peters einmal im Jahr mit ihrer Content-Society die Saison der Blogparaden eröffnet.
Recht schnell kam mir dann doch Lotte Laserstein in den Sinn. Ich bin ihr zum ersten Mal vor zwei oder drei Jahren begegnet. Zu sehen bekommt man ihre Werke meist nur in Retrospektiven, da sich der größte Teil ihrer Arbeiten in privaten Sammlungen befindet (mit wenigen Ausnahmen in Berlin, Frankfurt/Main und verschiedenen schwedischen Museen). Die Bilder von Lotte Laserstein faszinieren mich wegen ihres subtil-intensiven Stils. Entschieden habe ich mich letztendlich für den Akt "In meinem Atelier".
Wie allen Frauen vor - und so manchen nach - ihr wurde ihr der Weg in die Kunst nicht leicht gemacht. Trotzdem feierte Lotte Laserstein beachtliche Erfolge. Die Presse schrieb: „Lotte Laserstein – diesen Namen wird man sich merken müssen. Die Künstlerin gehört zu den allerbesten der jüngeren Malergeneration. Ihr glanzvoller Aufstieg wird zu verfolgen bleiben“.
Das war 1929. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, nur 4 Jahre später, erhält Lotte Laserstein aufgrund ihrer jüdischen Abstammung Ausstellungsverbot. Ihre Kunst wird als entartet diffamiert und als sie 1935 aus dem Berufsverband ausgeschlossen wird, hat sie nicht einmal mehr Zugang zu Kunstmaterialien und muss ihr Atelier schließen.
Eine Ausstellungseinladung aus Stockholm bietet ihr die Möglichkeit zur Flucht. Sie sendet einen Großteil ihrer Bilder voraus und folgt ihnen im Dezember 1937. Lotte Laserstein kehrt nie nach Deutschland zurück.
"In meinem Atelier" von Lotte Laserstein
Das Werk "In meinem Atelier", entstanden 1928 mit Öl auf Holz in der Alla-Prima-Technik, zeigt die Künstlerin bei der Arbeit. Sie malt einen Akt ihres bevorzugten Modells, ihrer guten Freundin Traute Rose.
Im Hintergrund sieht man durch das Fenster das verschneite Berlin-Wilmersdorf. Die Atmosphäre ist ruhig, fast ein bisschen melancholisch. Als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit verwendete Lotte Laserstein eine reduzierte Farbpalette. Auch das trägt zur Stimmung des Bildes bei.
Im Vordergrund liegt Traute Rose entspannt und selbstbewusst auf einem Bett. Sie nimmt den größten Teil des Bildes ein, das mit 46 × 73 cm nicht sonderlich groß ist. Zwischen Vordergrund und Hintergrund ist die Künstlerin platziert.
Der weibliche Blick
Es ist nicht die unzweifelhaft vorhandene handwerkliche Meisterschaft, sondern die subtile Emotionalität, die mich berührt.
Der Akt ist sowohl sensibel als auch eindringlich. Trautes Pose erinnert an berühmte Akte, zum Beispiel an Tizians Venus. Das Zitieren großer Meisterwerke ist ein Dreh, den Laserstein in ihren Bildern häufig anwendet und der ihre Kenntnis der Kunstgeschichte beweist. Doch anders als viele männliche Aktdarstellungen macht Lotte Laserstein ihr Modell nicht zum Objekt. Traute wird nicht in einem unbeobachteten Moment dargestellt. Als Betrachter werden wir nicht zum Voyeur, zum Gaffer.
Die Dargestellte ist sich ihrer selbst bewusst und die Beziehung zwischen Künstlerin und Modell wirkt gleichberechtigt. Der weibliche Körper zeigt sich als etwas Natürliches, Selbstverständliches - nicht als Lustobjekt. Er ist nackt, aber nicht entblößt.
Das ganze Bild strahlt Intimität und eine Vertrautheit zwischen der Künstlerin und ihrem Modell aus, die nicht eigens betont werden muss.
Was ist die Neue Sachlichkeit?
Die Neue Sachlichkeit war eine Kunstrichtung, die in den 1920er Jahren in Deutschland entstand. Sie war eine Reaktion auf den Expressionismus, der als zu emotional und subjektiv empfunden wurde.
Die Neue Sachlichkeit strebte eine präzise und objektive Darstellung der Wirklichkeit an. Die Künstler dieser Bewegung wollten die Welt so zeigen, wie sie war, ohne sie zu idealisieren oder zu romantisieren. Das Leben in der Weimarer Republik, einschließlich seiner sozialen Probleme, wurde direkt und oft schonungslos dargestellt.
Viele Werke setzen sich kritisch mit den sozialen und politischen Bedingungen ihrer Zeit auseinander. Armut, Krieg, soziale Ungerechtigkeit und die Korruption der herrschenden Klasse waren häufige Themen. Einer der berühmtesten Vertreter der Neuen Sachlichkeit war Otto Dix, bekannt für seine scharfsinnigen und oft düsteren Darstellungen des Lebens nach dem Ersten Weltkrieg.
Lotte Lasersteins Bilder gehören zwar ebenfalls der Neuen Sachlichkeit an, sind aber weder gesellschaftskritisch noch objektivierend. Und sie sind auch keineswegs unterkühlt. Ihr Thema ist die "Neue Frau" - sportliche-androgyn, modisch, unabhängig und emanzipiert. So fing Lotte Laserstein das damalige Lebensgefühl ein.
Die verschollene Generation
Zwar konnte Lotte Laserstein nach einigen Jahren ihre Arbeit in Schweden wieder aufnehmen, aber sie konnte nie mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen und verschwand weitestgehend aus dem öffentlichen Blick. Sie selbst sagte einmal: "Meine Flucht nach Schweden hat mein Leben in zwei Teile zerbrochen."
Damit gehört sie der sogenannten verschollenen Generation an, einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in Deutschland aktiv waren, aber aufgrund der politischen Umstände und des Zweiten Weltkriegs weitgehend in Vergessenheit geraten sind.
Diese Künstlergeneration erlebte ihren kreativen Höhepunkt in den 1920er und frühen 1930er Jahren, bevor sie durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die damit verbundenen Repressionen verdrängt, verfolgt oder ins Exil gezwungen wurde.
Männliche Künstler der verschollenen Generation wurden in der Nachkriegszeit teilweise wiederentdeckt, besonders ab den 1960er und 1970er Jahren, als ein neues Interesse an der Moderne und den Verbindungen zwischen Kunst und Politik entstand. Allerdings waren viele von ihnen bereits tot oder ihre Werke stark dezimiert, was eine umfassende Wiederentdeckung erschwerte.
Die Wiederentdeckung weiblicher Künstlerinnen begann deutlich später als die ihrer männlichen Kollegen, oft erst ab den 1980er und 1990er Jahren, im Zuge der Frauenbewegung und eines wachsenden Interesses an Gender Studies. Diese späte Anerkennung führte dazu, dass viele Künstlerinnen bis dahin fast vollständig aus der Kunstgeschichte verschwunden waren, und die Aufarbeitung ihres Werkes oft nur fragmentarisch sein konnte.
Lotte Lasersteins Wiederentdeckung ist eigentlich einem Zufall geschuldet. Die Agnew’s and The Belgrave Gallery in London plante 1987 eine Ausstellung zum Lebenswerk von Erich Wolfsfeld, Lotte Lasersteins einstigem Lehrer in Berlin. Die Kuratorin der Ausstellung, Caroline Stroude, wollte mit seiner ehemaligen Meisterschülerin sprechen und besuchte sie in Schweden. Dort sah sie an den Wänden Lasersteins eigene Werke und war sofort begeistert. Auf der Stelle versprach sie der Künstlerin eine eigene Ausstellung. Die Ausstellungseröffnung im selben Jahr besuchte die Künstlerin zusammen mit ihrer guten Freundin Traute Rose.
Hiermit war der Weg geebnet. Anfang der 2000er Jahre fanden in Berlin auch die ersten deutschen Retrospektiven zu Lotte Lasersteins Werk statt. Dies erlebte die Künstlerin nicht mehr. Lotte Laserstein starb 1993 im Alter von 94 Jahren.
Ein Blick, der unter die Oberfläche geht
Lotte Lasersteins "In meinem Atelier" berührt mich auf einer tiefen emotionalen Ebene, weil es nicht nur die physische Schönheit des weiblichen Körpers zeigt, sondern auch stille Verbindung und gegenseitiges Vertrauen.
Die Intimität und die fast spürbare Ruhe, die das Bild ausstrahlt, haben oft dazu verführt, über die Beziehung zwischen Künstlerin und Modell nachzudenken. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb immer wieder Gerüchte über eine lesbische Beziehung zwischen den beiden Frauen auftauchen. Dafür gibt es nämlich, abgesehen von den Gerüchten selbst, überhaupt keine Belege.
Welches Kunstwerk einer Künstlerin hat dich besonders berührt? Was macht das Werk für dich einzigartig?
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