Als Künstlerin bin ich es gewohnt, viel Zeit allein zu verbringen. Mein Atelier ist mein Rückzugsort, ein Raum voller Farben, Leinwände und Ideen. Doch so sehr ich meine Momente der Ruhe und Konzentration liebe, gibt es Tage, da stehe ich dann, Pinsel in der Hand, und die Inspiration will einfach nicht fließen!
Die Vorstellung des Künstlers, der sich selbst genügt und in der Abgeschiedenheit an seiner Kunst arbeitet, mag romantisch klingen, doch manchmal fühlt es sich an wie ein einsames Ringen mit sich selbst. In solchen Momenten wünschte ich mir, dass mich jemand inspiriert, hinterfragt oder einfach nur sagt: "Was für eine gute Idee!"
Das zeigt mir, wie wichtig der Austausch mit anderen für meine Arbeit ist. Nun habe ich ja das Glück, mit einem Künstler zu leben: Unsere Gespräche sind unglaublich inspirierend und helfen mir, neue Perspektiven auf meine Arbeit zu gewinnen. Auch rede ich gern mit befreundeten Künstler:innen über ein neues Projekt oder spreche einfach nur eine Idee laut aus – das kann schon den entscheidenden Funken bringen, der mein kreatives Feuer entfacht.
Was aber, wenn man sich oft in die eigene Arbeit zurückzieht und dabei merkt, dass der kreative Austausch fehlt? Wie kann ich diese inspirierenden Dialoge aufrechterhalten, auch wenn ich die meiste Zeit tief in meinen eigenen Gedanken und Projekten versunken bin? Und welche Rolle spielt der innere Dialog, den ich mit mir selbst führe, in diesem kreativen Prozess?
Die Kraft des Alleinseins
Wenn ich die Tür meines Ateliers hinter mir schließe, lasse ich die Welt für eine Weile draußen. Dann bin ich ganz bei mir – und das ist genau der Raum, den ich brauche, um meine Gedanken zu ordnen und Ideen in Ruhe reifen zu lassen.
Das Alleinsein bietet mir die Möglichkeit, tief in meine Arbeit einzutauchen, ohne Ablenkungen von außen. Dabei handelt es sich nicht um eine tonlose Leere.
Sie ist erfüllt mit meinen Gedanken, Gefühlen, oft gestützt durch Musik. Es entsteht ein innerer Dialog, anstelle oder besser als Fortsetzung des äußeren; oft stelle ich mir sogar eine Playlist zusammen, für die jeweilige Kunstserie, an der ich gerade arbeite. Deren Atmosphäre erleichtert mir den Weg in den Dialog mit mir selbst und fließt in meine Kunst ein.
Momente der Abgeschiedenheit sind nicht nur notwendig, sie sind ein wichtiger Bestandteil meines Schaffensprozesses. Sie erlauben es mir, meine Gedanken zu sortieren, meinen Ideen Zeit zu geben sich zu entwickeln und schließlich zu etwas Eigenem zu werden.
Für mich - das kann bei allen Künstler:innen unterschiedlich sein - braucht der kreative Dialog die stille Zeit der Reflexion, um fruchtbar zu werden - und umgekehrt! Es sind zwei Seiten derselben Medaille – der Dialog nährt die Kreativität, aber es ist die Einsamkeit, die ihr den Raum gibt, zu wachsen. Beide Elemente sind für mich essenziell, um tiefgehende, authentische Kunst zu schaffen.
Die Kraft der Gemeinschaft: Kreativität im Austausch
Inspiration für meine Kunst finde ich auf vielfältige Weise. Die Natur zum Beispiel ist eine ständige und zuverlässige Quelle, genau wie das Beschäftigen mit unterschiedlichsten Materialien. Aber ohne den Austausch mit anderen Menschen würde ich oft auf der Stelle treten. Es sind Gespräche, Debatten, unterschiedliche Perspektiven, die aus dem Flämmchen einer neuen Idee einen Flächenbrand entfachen können.
Manchmal ist es ein einzelnes Wort, eine unerwartete Sichtweise oder einfach die Energie, die jemand in ein Gespräch bringt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur kreativen Zusammenarbeit
Damit bin ich nicht allein. Nicht nur in der Kunst spielt Kreativität eine wichtige Rolle. Sie ist auch in der Wissenschaft und in der Wirtschaft der Motor für Innovation und Fortschritt. Kein Wunder, dass immer mehr Studien untersuchen, wie dieser Motor gestartet werden kann.
Ein zentrales Ergebnis vieler Untersuchungen ist: Kreativität entsteht selten isoliert. Auch hier: Es ist der Austausch mit anderen Menschen, der kreative Leistung erheblich steigern kann – sei es durch Teamarbeit, interdisziplinäre Projekte oder einfach das Teilen von Ideen.
Das zeigt auch eine Studie aus der Harvard Business Review. Unternehmen, die eine Kultur der Zusammenarbeit fördern, indem sie gezielt Räume und Gelegenheiten für den kreativen Austausch schaffen, entwickeln innovativere Lösungen.
Und auch eine Studie zur sozialen Netzwerkstruktur aus dem Jahr 2010 belegt, Menschen, die in ein breites und vielfältiges Netzwerk eingebunden sind, sind kreativer. Deshalb gehören Co-Working-Spaces auch immer häufiger zur modernen Arbeitswelt. Soloselbstständige - nicht nur im Kreativ-Business - können so mit anderen in ihrem Arbeitsumfeld in Verbindung treten.
Der Mensch ist nun mal nicht für die Einsamkeit gemacht.
Für mich persönlich bedeuten diese Erkenntnisse, dass ich den Austausch bewusst suche und pflege. Ich weiß, dass meine eigene Kreativität durch den Dialog mit anderen gestärkt wird. Deshalb tausche ich mich regelmäßig mit anderen Künstler:innen aus.
Seit März dieses Jahres bin ich Mitglied in einer solchen Kreativ-Community – einem virtuellen Treffpunkt für inspirierte Menschen aus allen möglichen kreativen Bereichen. Der Austausch dort ist freundschaftlich und wertschätzend. Diese Gemeinschaft ist sowohl für mich persönlich als auch für meine künstlerische Arbeit inzwischen sehr wichtig geworden.
In dieser Community erhalte ich nicht nur wertvolles Feedback, sondern auch Zuspruch, wenn ich hadere, echte Freude bei Erfolgen und Unterstützung, wenn ich neue Wege gehen möchte. Die Gemeinschaft bietet mir die Sicherheit und Motivation, meine Ideen weiterzuentwickeln und Neues zu wagen.
Künstlerische Kooperationen: Wenn Ideen aufeinandertreffen
Darauf setzen auch Unternehmen, indem sie interdisziplinäre Teams oder Innovationsworkshops ins Leben rufen. Aber das gab und gibt es auch in der Kunstwelt. Künstler schließen sich zu Kollektiven zusammen, denn manchmal braucht selbst das kreativste Genie ein wenig frischen Wind.
Dabei kann etwas wirklich Einzigartiges entstehen, das weit über das hinausgeht, was jeder allein hätte schaffen könnte. Zwei dieser Kooperationen möchte ich an dieser Stelle vorstellen. Da ist einmal die Zusammenarbeit von Andy Warhol mit Jean-Michel Basquiat und zum anderen die von David Bowie und Brian Eno.
Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat: Pop-Art trifft auf Neo-Expressionismus
Zwei Künstler, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten. Andy Warhol, der Meister der Pop-Art und Jean-Michel Basquiat, der junge, wilde Neo-Expressionist, dessen Arbeiten förmlich vor Energie strotzen. Gemeinsam schufen sie einige der aufregendsten Kunstwerke der 1980er Jahre.
Die Zusammenarbeit begann 1982. Sie wurde vom Schweizer Kunsthändler Bruno Bischofberger initiiert, der beide Künstler vertrat. Warhol, der schon in den 1960er Jahren berühmt geworden war, befand sich in einer Phase der künstlerischen Neuausrichtung. Basquiat war zu dieser Zeit ein aufstrebender Künstler, der mit seiner rohen, kraftvollen Ästhetik die Kunstwelt zu erobern begann.
Ursprünglich war auch der italienische Maler Clemente Teil dieser Zusammenarbeit. Die Dreierkooperation führte zu einer Reihe von Gemeinschaftswerken, die durch den Wechsel der Stile und den Dialog zwischen den Künstlern eine besondere Dynamik entwickelten. Nachdem Clemente 1984 die Zusammenarbeit beendet hatte, arbeiteten Warhol und Basquiat als Duo weiter.
Die beiden wurden Freunde. Sie unternahmen häufig Spaziergänge durch die Straßen von New York, was für beide eine Art Ritual wurde. Während dieser Spaziergänge machte Basquiat ständig Skizzen – auf Servietten, in Notizbüchern oder auf den Speisekarten der Restaurants, die sie besuchten. In SoHo soll er sogar einmal eine leere Leinwand in einem Müllcontainer gefunden und sofort für seine Skizzen verwendet haben.
Die Zusammenarbeit der beiden dauerte etwa zwei Jahre, von 1983 bis 1985. In dieser Zeit schufen sie gemeinsam etwa 160 Werke. Ihre Arbeitsweise wurde als künstlerisches Pingpong bezeichnet: Einer von beiden begann mit dem Malen und gab die Leinwand dann an den anderen weiter; die Leinwand ging dabei oft auch mehrfach hin und her.
Warhol brachte seine charakteristischen, klaren Linien und Symbole auf die Leinwand. Basquiat fügte seine chaotischeren, energiegeladenen Formen und Farben hinzu.
Die Reaktion der Kunstwelt
Die erste gemeinsame Ausstellung der beiden fand 1985 in der Tony Shafrazi Gallery in New York statt. Jedoch reagierte die Kunstwelt eher ablehnend. Während einige Kritiker die Zusammenarbeit als spannende Verschmelzung zweier unterschiedlicher Stile sahen, empfand die Mehrheit die Werke als unausgegoren oder als einen Versuch, den jeweils anderen künstlerisch zu dominieren. Vernichtende Kritiken nannten Basquiat sogar Warhols "Maskottchen".
Basquiat, der die Kritiken sehr persönlich nahm, beendete daraufhin die Zusammenarbeit. Die beiden entfernten sich immer weiter voneinander. Doch als Andy Warhol 1987 starb, traf das Basquiat sehr. Ein Jahr später starb auch er an einer Überdosis Heroin. Erst in den Jahren nach dem Tod der beiden wurden ihre gemeinsamen Kunstwerke in einem neuen Licht bewertet.
Heute gelten sie als ikonisch, als Symbole für die Fusion von Popkultur und Straßenkunst, von Tradition und Rebellion. Die Werke werden mittlerweile hochgeschätzt und erzielen auf dem Kunstmarkt Millionenbeträge.
David Bowie und Brian Eno: Wenn Musik neu erfunden wird
David Bowies und Brian Enos Zusammenarbeit zählt zu den einflussreichsten in der Musikgeschichte und wird oft als Meilenstein der Rock- und Popmusik angesehen. Sie veränderte nachhaltig die musikalische Landschaft der späten 1970er Jahre.
David Bowie und Brian Eno trafen sich erstmals Mitte der 1970er Jahre. Bowie war zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner Karriere, hatte aber bereits begonnen, mit verschiedenen Musikstilen zu experimentieren. Eno, der als Mitglied der Band Roxy Music bekannt wurde und sich später als Pionier der Ambient-Musik etablierte, war für seine unkonventionellen Ansätze und seine Vorliebe für Experimente bekannt.
Nachdem Bowie und Eno sich kennengelernt hatten, entdeckten sie schnell eine gemeinsame kreative Wellenlänge. Sie respektierten und bewunderten sich gegenseitig. Bowie schätzte Enos intellektuelle Herangehensweise an die Musik, während Eno von Bowies Fähigkeit, experimentelle Klänge in zugängliche Popmusik zu integrieren, fasziniert war.
Die Zusammenarbeit der beiden dauerte von 1976 bis 1979 und führte zur Entstehung der sogenannten „Berlin-Trilogie“, bestehend aus den Alben „Low“ (1977), „Heroes“ (1977) und „Lodger“ (1979).
- „Low“ (1977): Dieses Album markierte einen radikalen Bruch mit Bowies vorherigem Werk. Es war experimentell, mit einem starken Einfluss von Enos Ambient-Musik. Die zweite Seite des Albums besteht fast ausschließlich aus instrumentalen Tracks.
- „Heroes“ (1977): Das zweite Album der Trilogie und wohl das bekannteste. Der Titelsong „Heroes“ wurde zu einer Hymne der Zeit und spiegelte die Stimmung des Kalten Krieges und der geteilten Stadt Berlin wider. In dem Song geht es um zwei Liebende, die sich an der Berliner Mauer küssen.
- „Lodger“ (1979): Das dritte Album der Trilogie gilt als das am wenigsten experimentelle, integrierte aber dennoch ungewöhnliche Songstrukturen und ein internationales Flair, inspiriert von Bowies Reisen um die Welt.
Die Alben wurden größtenteils in den Hansa-Studios in Berlin, den sogenannten Studios by the wall, aufgenommen. Sie lagen nur etwa 200 Meter von der Berliner Mauer entfernt und vom Fenster aus hatte man Blick auf einen der Wachtürme. Eines Tages beobachtete Bowie ein sich küssendes Paar vor der Mauer, direkt unter dem Wachturm. Das wurde zur Inspiration für "Heros".
Bowie war 1976 nach Berlin gezogen. Das Westberlin der 1970er Jahre war ein Schmelztiegel der Kreativität, voll von einer Atmosphäre des Aufbruchs und angetrieben durch die einzigartige politische Situation der Stadt.
Die daraus resultierende Stimmung der Freiheit, des Protests und der Suche nach neuen Ausdrucksformen machten die geteilte Stadt zu einem Magneten für Künstler und Musiker aus aller Welt.
Während der Aufnahmen arbeiteten Bowie und Eno oft bis spät in die Nacht. Eno benutze dann oft seine „Oblique Strategies“-Karten. Die kuriosen Anweisungen sollten helfen kreative Blockaden zu überwinden. Tatsächlich entstanden so einige der faszinierendsten Stücke der Musikgeschichte, in denen sich die düstere, aber kreative Energie Berlins widerspiegelt.
Die Alben gelten heute als Vorläufer für viele Musikrichtungen, die in den folgenden Jahrzehnten populär wurden, einschließlich Post-Punk, New Wave und elektronischer Musik.
Kreativität im Dialog: Ein gemeinsamer Weg
Austausch als Inspiration, der künstlerische Dialog als Verlockung neue Wege zu versuchen und zu beschreiten, als Bestärkung oder Erweiterung von der Musik zur Malerei, von der Malerei zur Schriftstellerei und zurück - wenn gelungen, ist das Ganze immer wieder mehr als seine Teile, oder doch ein buntes, seinerseits wieder irritierendes und inspirierendes, wildes, anregendes Experiment, mit dem wiederum spätere Künstler in Dialog treten können und sich nicht selten zur Kreativität anregen lassen.
Gelegentlich sehr viel spätere, übrigens. Mein Partner etwa lässt sich gern von Alten Meistern anregen, um in literarische Fahrt zu kommen... Der Dialog muss also nicht symmetrisch und gleichzeitig stattfinden. Das ist ja das Schöne an der Kunst. Sie verbindet - mitunter - über Generationen hinweg.
Wollen wir einen Dialog darüber führen?
Auf die Idee zu diesem Blogartikel bin ich durch die Blogparade von Karina Röpcke gekommen. Unter dem Motto „Ich wirke, also bin ich“ hatte sie dazu aufgerufen, über Kreativität im Business zu schreiben.
Auch so kann Dialog, Austausch und das gegenseitige Entzünden von Ideen stattfinden. Vielen Dank, Karina!
Wie sieht es bei dir aus? Welche Rolle spielen der Austausch mit anderen und der innere Dialog in deinem kreativen Prozess? Ich freue mich, wenn du deine Gedanken dazu teilst – denn schließlich ist Kreativität oft ein gemeinsamer Weg.
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