Die aktuellen globalen Entwicklungen machen mir Angst. In vielen Ländern gewinnen autoritäre Strömungen an Einfluss, demokratische Werte geraten unter Druck. In den USA hat Präsident Trump Maßnahmen ergriffen, die die Gewaltenteilung schwächen, die Unabhängigkeit von Medien und Justiz einschränken und die Menschenrechte in den Straßengraben zu fegen. Mit Elon Musk als gefährlichem Handlanger an seiner Seite (oder ist es umgekehrt?) verfolgt er eine Agenda, die Macht zentralisiert, politische Gegner:innen einschüchtert und die Grundlagen der Demokratie in den USA weiter aushöhlt.
Auch in vielen europäischen Ländern erstarken rechte Parteien, die zunehmend Einfluss auf die politische Landschaft nehmen. Elon Musk spielt hier ebenfalls eine wichtige Rolle. Auf X versucht er nicht nur die öffentliche Debatte zu kontrollieren, sondern baut gezielt eine alternative Medienlandschaft auf, in der rechte Narrative gestärkt und Kritiker:innen mundtot gemacht werden. Musk fördert Desinformation, gibt extremen Stimmen eine Bühne und untergräbt demokratische Strukturen – sei es durch seine Unterstützung für Trump oder seine Bemühungen, Institutionen wie die EU oder unabhängigen Journalismus zu delegitimieren.
In Deutschland steht die AfD in Umfragen zur Bundestagswahl am 23. Februar bei über 20 Prozent – eine Partei, die in Teilen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. CDU-Chef Friedrich Merz hat sich von seiner früheren Abgrenzung verabschiedet, fischt offen am rechten Rand und paktiert im Bundestag mit der AfD. Während die Demokratie wankt, tragen konservative Politiker:innen lieber zur Normalisierung rechter Positionen bei, anstatt sich ihnen entschieden entgegenzustellen.
Rechtsruck: Ursachen und Mechanismen
Wann immer Gesellschaften ins Wanken geraten, profitieren radikale Kräfte. Historisch waren es nie Zeiten der Stabilität, die Extremisten an die Macht gebrachten. Die Behauptung ist dann meist, der Rechtsruck sei lediglich eine Reaktion auf gesellschaftliche Unzufriedenheit – doch das greift zu kurz. Tatsächlich verfolgen rechte und autoritäre Bewegungen gezielte Strategien, Gesellschaften zu destabilisieren, um aus Chaos und Unsicherheit Kapital zu schlagen.
Rechte und autoritäre Kräfte profitieren nicht von Stabilität – sie profitieren von Angst, Spaltung und Schwäche. Denn sie wissen, je größer die Krise, desto stärker der Ruf nach einem „starken Führer“. Ein bewährtes Muster:
- Krisen bringen Populisten an die Macht (1930er: Weltwirtschaftskrise → Begünstigung des Aufstiegs des Faschismus in Europa).
- Terroranschläge oder gesellschaftliche Unruhen werden genutzt, um Freiheitsrechte einzuschränken (USA nach 9/11 → Patriot Act).
- Politische Instabilität wird als Argument für „Law and Order“-Politik missbraucht (Flüchtlingskrise 2015 → Kriminalisierung von NGOs und Schüren von Angst vor „Migrationsfluten“, z. B. in Ungarn).
Je chaotischer die Lage, desto eher können autoritäre Kräfte sich als Retter in der Not inszenieren.
Spaltung statt Einigkeit: Die Zerstörung eines geeinten Europas
Rechte Bewegungen hassen die EU. Warum? Weil die EU für multilaterale Zusammenarbeit, Demokratie und gemeinsame Werte steht. Ein starkes, stabiles Europa mit funktionierender Demokratie und relativer sozialer Sicherheit ist das größte Hindernis für ihre Ideologie. Deshalb arbeiten sie aktiv daran, diese Stabilität zu untergraben.
Wenn jedes Land nur noch für sich selbst kämpft, kann kein kollektiver Widerstand gegen autoritäre Tendenzen entstehen. Deshalb setzen rechte Parteien gezielt auf Nationalismus:
- „Wir zuerst!“ statt europäischer Zusammenarbeit.
- „Brüssel ist unser Feind!“ (obwohl sie selbst EU-Gelder kassieren).
- Angriffe auf internationale Institutionen.
Rechtsextreme wollen nicht nur politische Gegner:innen besiegen – sie wollen die Regeln des Spiels ändern. Ein starkes, stabiles demokratisches System macht es schwer, absolute Macht zu erlangen. Deshalb schwächen sie Institutionen durch Angriffe auf die Justiz: Kritische Richter:innen werden diskreditiert oder ersetzt (Polen, USA unter Trump). Durch den Abbau unabhängiger Medien: Kritische Presse wird als „Fake News“ diffamiert, öffentlich-rechtliche Sender unter politischen Druck gesetzt (Ungarn, Italien, USA). Und durch die Einschränkung von Bürgerrechten: Demonstrationen werden kriminalisiert, Oppositionelle als „Volksfeinde“ abgestempelt (Russland, Türkei, USA unter Trump und neuerdings auch Deutschland).
Kulturkampf und Identitätspolitik als Ablenkungsstrategie
Bei der Behauptung, die deutsche Kultur sei durch Migration und „linke Eliten“ in Gefahr, geht es nicht um reale Probleme, sondern um das bewusste Schüren von Ängsten, um Wähler zu mobilisieren.
- Migration als Sündenbock („Die Flüchtlinge sind schuld an allem!“).
- Anti-Woke-Debatten als Ablenkung („Gendern zerstört die Gesellschaft!“).
- Kriminalisierung von Minderheiten (Transpersonen, Muslime, Geflüchtete).
Warum? Weil es funktioniert. Je mehr Menschen sich über Kulturkämpfe streiten, desto weniger beschäftigen sie sich mit echter Politik. Während also Wähler:innen darüber diskutieren, ob deutsche Traditionen durch Migration „verdrängt“ werden oder ob jeder sein/ihr Pronomen frei wählen darf – eine Entscheidung, die niemand anderen betrifft –, bauen rechte Politiker:innen hinter den Kulissen ihre Macht aus.
Diese Art von Empörungsdebatten taucht immer wieder auf – von angeblich verbotenen Weihnachtsliedern in Schulen bis hin zu Forderungen nach einer „Leitkultur“. Sie lenken gezielt von den realen Problemen ab, mit denen sich die Politik eigentlich befassen müsste.
Die Macht der Lüge
Nie zuvor war es so einfach, Massen zu beeinflussen. Während klassische Medien (zumindest theoretisch) Fakten überprüfen und für ein gewisses Maß an Objektivität sorgen, sind soziale Netzwerke der perfekte Spielplatz für Populisten und Demagogen.
Fake News verbreiten sich schneller als seriöse Nachrichten. Algorithmen pushen die Inhalte, die am meisten Wut und Angst erzeugen. Einem aufsehenerregenden Lügen-Tweet folgen Millionen – eine Korrektur erreicht nur einen Bruchteil davon.
Menschen leben zunehmend in digitalen Echokammern, in denen sie nur noch das hören, was ihre Überzeugungen bestätigt. Rechtspopulistische Bewegungen haben das perfektioniert: Sie schaffen parallele Realitäten, in denen sie die Opfer sind und „die Anderen“ – Migranten, Linke, Feministinnen, Wissenschaftler:innen – die Feinde. Die neuen Autoritären müssen die Meinungsfreiheit nicht mehr abschaffen – sie müssen sie nur so verzerren, dass Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheidbar sind.
Die Normalisierung des rechten Randes – wie konservative Parteien den Weg ebnen
Rechtsextreme Parteien sind auch nach dem 2. Weltkrieg nicht neu, waren aber lange Randerscheinungen. Deutschland hatte aus seiner Vergangenheit gelernt – jedenfalls haben wir das geglaubt. Doch heute sind sie wieder zur festen Größe geworden – nicht nur, weil ihre Anhängerschaft gewachsen ist, sondern weil konservative Parteien ihre Positionen übernommen haben.
Die CDU unter Friedrich Merz flirtet mit AfD-Positionen, übernimmt rechte Narrative („Asyl-Tourismus“) und öffnet damit den Diskurs für radikalere Forderungen. Die Hürden für rassistische, frauenfeindliche oder autoritäre Rhetorik werden immer niedriger. Was früher noch als Tabubruch galt, ist heute Wahlkampfstrategie – mit dem Effekt, dass sich demokratische Parteien unmerklich nach rechts verschieben und sich rechte Rhetorik immer tiefer in den politischen Mainstream frisst.
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Neutralität ist keine Option
Warum schreibe ich als Künstlerin auf einem Kunst-Blog über Politik?
Immer wieder lese ich in Foren, Kunst habe neutral zu sein. Dabei war sie das nie. Na ja, möglicherweise noch zu Zeiten der Höhlenmalerei – als Menschen ihre Hände an Höhlenwände drückten, als sie Jagdszenen in Felsen ritzten. Aber seit Anbeginn der Zivilisation waren Kunst und Macht eng miteinander verzahnt. Einerseits haben Herrscher:innen wie die Pharaonen im alten Ägypten, die katholische Kirche oder die Habsburger zu allen Zeiten und überall auf der Welt Kunst genutzt, um ihre Macht zu legitimieren, ihre Siege zu glorifizieren, ihre Geschichten in den Köpfen der Menschen zu verankern.
Aber im Grunde geht es bei Politik ja nicht darum, wer die Macht hat. Sollte es jedenfalls nicht. Politik bestimmt, wie wir leben. Welche Regeln wir unserer Gesellschaft geben, welche Werte wir haben. Unsere Körper, unsere Gedanken, unsere Lebensweise – alles ist Politik.
Deshalb kann Kunst andererseits gar nicht anders, als politisch zu sein. Künstler:innen haben nämlich auch schon immer die Themen ihrer Zeit reflektiert. Sie haben Missstände sichtbar gemacht, Entwicklungen hinterfragt und Kritik geübt – selbst dann, wenn ihre Kunst nicht auf den ersten Blick „politisch“ erschien.
Kunst muss nicht laut sein, um eine Haltung zu haben. Sie muss keinen plakativen Protest zeigen, um Kritik zu üben. Aber wenn sie sich nicht mit der Welt auseinandersetzt – wenn sie nichts spiegelt, nichts hinterfragt, nichts sichtbar macht –, dann ist sie nicht mehr als Dekoration.
Und das war Kunst noch nie.
Die Strategie der Macht: Warum autoritäre Systeme Kunst kontrollieren
Deshalb greifen autoritäre Systeme zuerst die Kunst an. Wer kontrolliert, was Menschen sehen, hören und fühlen, kontrolliert am Ende auch, was sie denken. Autoritäre Strömungen fürchten kreative Freiheit – weil sie sich entzieht, weil sie ins Licht rückt, und darum gefährlich ist.
Gleichzeitig nutzen sie sie als Werkzeug der Manipulation. Denn wer die Kontrolle über eine Gesellschaft will, muss die Kontrolle über ihre Geschichten gewinnen.
Wer über Macht verfügt, will keine offenen Fragen, sondern eindeutige Antworten. Keine Unsicherheit, sondern klare Narrative. Keine Vielstimmigkeit, sondern Kontrolle. Deshalb waren Künstler:innen schon immer unter den Ersten, die ins Visier gerieten, wenn politische Systeme kippten. Maler:innen, Dichter:innen, Musiker:innen, Filmemacher:innen – wer gesellschaftliche Missstände entlarvt, wer Kritik übt, wer sich nicht einfügen will, wird zur Bedrohung. Kunstfreiheit ist Demokratiefreiheit. Und wenn die eine fällt, fällt auch die andere.
Zensur und Kontrolle
Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen Regierungen versucht haben, Kunst zu unterdrücken oder für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Manche nutzten die Brechstange der offenen Repression, andere bevorzugten subtilere Methoden – aber das Ziel war immer dasselbe: Die Kunst zu lenken, um die Gesellschaft zu lenken.
Einen schönen Ausflug in dieses Thema findest du in dem Interview mit "Peter Hope (oder auch nicht)" auf dieser Website.
Nationalsozialismus: „Entartete Kunst“ – Kunst als Feindbild des Regimes
Eines der bekanntesten Beispiele für Kunstzensur ist die Ausstellung „Entartete Kunst“ im nationalsozialistischen Deutschland. 1937 wurden moderne Werke von Künstler:innen wie Paul Klee, Emil Nolde, Otto Dix, Hannah Höch und Max Beckmann öffentlich an den Pranger gestellt. Ihre Kunst sei „krank“, „undeutsch“, „zersetzend“ – das war die offizielle Erzählung. Dabei ging es nicht um Ästhetik. Es ging um Macht.
Moderne Kunst stand für Individualität, für neue Sichtweisen, für Vielfalt. All das war den Nazis (damals wie heute) ein Dorn im Auge, denn ihre Ideologie baute auf Uniformität und Kontrolle. Die „entartete“ Kunst musste verschwinden, um Platz zu machen für monumentale Heldenstatuen und idealisierte Darstellungen der „arischen“ Rasse – Kunst als Propaganda.
Doch die Verfemung moderner Kunst war nur ein Teil des Angriffs auf die kulturelle Vielfalt. Schon 1933, kurz nach der Machtübernahme, fand die berüchtigte Bücherverbrennung statt. Werke von Bertolt Brecht, Erich Kästner, Heinrich Mann, Bertha von Suttner, Sigmund Freud und vielen anderen wurden ins Feuer geworfen, weil sie nicht in das nationalsozialistische Weltbild passten. Literatur, die zum Denken anregte, musste ausgelöscht werden.
Die berühmte Feststellung Heinrich Heines erhellt auf furchtbare Weise schlagend – und leider wahr – den Zusammenhang:
„Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“
Sozialistischer Realismus: Die Kunst des Gehorsams in der Sowjetunion und China
In der Sowjetunion unter Stalin und in Maos China wurde Kunst zu einem Instrument der Machterhaltung. Gemälde mussten Arbeiter:innen in heroischen Posen zeigen, Gedichte mussten die Partei preisen, Filme mussten die glorreiche Zukunft des Kommunismus illustrieren. Alles, was Zweifel säen konnte, wurde als „bourgeois“, „reaktionär“ oder „subversiv“ gebrandmarkt. Künstler:innen, die sich widersetzten, wurden verfolgt, eingesperrt oder ermordet. Die Botschaft war klar: Kunst war erlaubt – solange sie nicht dachte.
Trump und das Feindbild „linker“ Kunst- und Kulturschaffender
Donald Trump hat wiederholt gegen Künstler:innen, Intellektuelle und Kulturschaffende gehetzt, die ihn kritisierten. Hollywood sei „linksextrem“, Journalist:innen seien „Feinde des Volkes“ (unliebsame Journalist:innen werden ausgegrenzt), die Künste verdienten keine staatliche Förderung.
Der National Endowment for the Arts, die wichtigste öffentliche Kulturförderung in den USA, wollte er schon in seiner ersten Amtszeit komplett abschaffen. Damals scheiterte er damit noch. Aber seit Januar hat er den Einfluss der Behörde deutlich eingeschränkt: Er kürzt die Mittel für Vielfalt und soziale Projekte, politisch unbequeme Programme werden eingestellt, und mit einer neuen Führung setzt er eine ideologische Neuausrichtung durch.
Ungarn, Polen und die schleichende Kontrolle über die Kultur
Was in den USA unter Trump als Kulturkampf geführt wird (um das Wort Coup d'état zu vermeiden), nimmt auch in Teilen Europas bereits konkrete Formen an. In Ungarn hat Viktor Orbán die Kontrolle über den Kulturbereich systematisch ausgebaut. Unabhängige Theater und Museen wurden finanziell ausgehungert, während regierungstreue Institutionen Millionen erhielten. Lehrpläne wurden verändert, um „patriotische Werte“ zu betonen.
Ähnlich in Polen, wo die PiS-Regierung versuchte, die Kulturförderung politisch zu lenken. Kritische Künstler:innen wurden von staatlichen Geldern ausgeschlossen, während nationalistische Narrative gefördert wurden. Kunstfreiheit wurde nicht offiziell abgeschafft – sie wurde einfach ersetzt.
Die Reihe an Beispielen könnte beliebig lang fortgesetzt werden. Wann immer autoritäre Systeme oder rechtspopulistische Regierungen an Einfluss gewinnen, steht die Kunst mit auf der Abschussliste. Mal wird sie offen unterdrückt, mal schleichend umgelenkt, mal diffamiert oder finanziell ausgehungert. Doch am Ende geht es immer um das Gleiche: die Kontrolle über das Narrativ.
Das ist kein historisches Problem – es ist ein aktuelles. Und es betrifft uns alle.
Kunst als Widerstand – Wenn Bilder und Worte gefährlich werden
In Zeiten politischer Repression kann Kunst zum Akt des Widerstands werden, weil sie Dinge ausspricht, die nicht gesagt werden dürfen. Bilder bleiben im Kopf, Worte hallen nach, Melodien verbinden Menschen über Grenzen hinweg. Wo Politik oft abstrakt bleibt, schafft Kunst etwas Unmittelbares, Emotionales.
Die Geschichte ist voller Beispiele von Künstler:innen, die sich dem Regime nicht beugen wollten – und manchmal dafür verfolgt, verboten oder zensiert wurden. Aber es sind auch deren Werke, die zum Symbol werden und nachwirken, lange nachdem die Herrschenden verschwunden sind.
Francisco Goya: „Die Erschießung der Aufständischen“ – Kunst als Anklage
Das Gemälde zeigt eine Szene aus dem spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon. Eine Gruppe spanischer Widerstandskämpfer steht auf einem kahlen Hügel. Vor ihnen: französische Soldaten mit Gewehren im Anschlag, bereit zum tödlichen Schuss.
Die Gesichter der Soldaten sieht man nicht. Sie sind anonyme Vollstrecker eines brutalen Systems. Im Zentrum steht ein Mann im weißen Hemd, mit erhobenen Armen. Er ist der Unschuldige, der Märtyrer, das Symbol für all jene, die gegen eine übermächtige Gewalt aufstehen – und dafür sterben. Das Licht der Laterne fällt direkt auf ihn – nicht auf die Soldaten, nicht auf den Hintergrund. Goya macht ihn zum zentralen Blickfang.
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Francisco de Goya | Die Erschießung der Aufständischen
Goya dokumentiert hier nicht einfach ein historisches Ereignis – er klagt an. Er zeigt den Krieg nicht als heroischen Kampf, sondern als kaltblütige Exekution. Die Mächtigen sind gesichtslos, die Opfer sind Menschen, mit Ausdruck, mit Emotion, mit Angst und Verzweiflung.
Es ist kein Zufall, dass dieses Bild später immer wieder als Symbol für politischen Widerstand verwendet wurde, in Protesten gegen faschistische Regime oder in der modernen Friedensbewegung.
Picasso: „Guernica“ – Ein Schrei gegen den Faschismus
Während Goya die Brutalität des Krieges auf einen einzigen Moment konzentrierte, schuf Picasso eine komplexe Collage aus Chaos, Angst und Zerstörung. Sein Bild entstand als Reaktion auf die Bombardierung der spanischen Stadt Guernica durch deutsche und italienische Flugzeuge – ein Angriff, der General Franco half, seine faschistische Herrschaft zu sichern.
Wir sehen verstümmelte Körper, schreiende Gesichter, eine Mutter, die ihr totes Kind hält. Ein Stier – oft als Symbol für Spanien gedeutet – steht ungerührt neben dem Chaos, als sei das Grauen schon Normalität geworden. Die Farbpalette ist bewusst auf Schwarz, Weiß und Grau reduziert – alles Leben scheint ausgelöscht.
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Picasso’s “Guernica” / Reina Sofia, Spanish Embassy
„Guernica“ ist nicht einfach ein Kriegsbild – es ist eine emotionale Anklage. Picasso zeigt uns den Krieg als tiefes menschliches Leid.
Es wird die Anekdote erzählt, dass 1936 in Paris ein deutscher Offizier Picasso angesichts des Meisterwerks gefragt habe, „haben Sie das gemacht?“
Picasso antwortete: „Nein, Sie.“
Die Begegnung ist unbelegt, aber im Zweifelsfall gilt: Se non è vero, è molto ben trovato - wenn es nicht wahr ist, ist es doch sehr gut erfunden.
Dass Giordano Bruno, der Urheber dieses italienischen Zitats, ein Zweifler des Glaubens, seinerseits im Jahr 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen endete, weil er der katholischen Kirche in die Quere kam, soll hier nur als Assoziation zum Thema stehen bleiben.
Zurück zu Picassos „Guernica“. Im Februar 2003, kurz vor dem Beginn des Irak-Krieges, wurde im UN-Hauptquartier in New York eine Tapisserie des Gemäldes verhüllt. Dieses Kunstwerk, eine Leihgabe der Rockefeller-Familie seit 1985, hängt am Eingang zum Sicherheitsrat und gilt als eindringliches Antikriegssymbol.
Die Verhüllung erfolgte während einer Pressekonferenz von US-Außenminister Colin Powell, der die Argumente für eine militärische Intervention im Irak darlegte. Offiziell begründeten UN-Sprecher:innen die Maßnahme mit technischen Anforderungen der Fernsehübertragungen; der komplexe Hintergrund des Gemäldes sei für Kameras ungeeignet gewesen.
Allerdings vermuteten Diplomat:innen, dass das kraftvolle Antikriegsmotiv von „Guernica“ nicht mit der Botschaft eines bevorstehenden Krieges im Einklang stand und daher verdeckt wurde.
Der mächtige frühere US-General und Außenminister Colin Powell musste die Bloßstellung durch ein Gemälde fürchten.
Das zeigt die Gegenmacht der Kunst.
Käthe Kollwitz – Die Chronistin des Leids
Kaum eine Künstlerin hat den Schmerz, die Trauer und die Verzweiflung des Krieges so eindringlich dargestellt wie Käthe Kollwitz. Ihre Werke sind ein Schrei gegen Gewalt, soziale Ungerechtigkeit und die Opfer, die Kriege fordern.
1914 meldete sich ihr jüngster Sohn Peter Kollwitz freiwillig als Soldat – wenige Wochen später war er tot.
Sein Verlust erschütterte sie zutiefst und prägte ihr gesamtes weiteres Schaffen. Auch vorher hatte sie sich mit sozialkritischen Themen beschäftigt. Sie setzte sich intensiv mit den Lebensbedingungen der Arbeiterklasse auseinander und thematisierte Armut, Hunger und soziale Ungerechtigkeit, so wie in den Zyklen „Ein Weberaufstand“ (1893–1897) und „Bauernkrieg“ (1902–1908), die den Kampf und das Leid der Unterdrückten darstellen.
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Käthe Kollwitz | Frau mit totem Kind
Der Tod ihres Sohnes Peter führte jedoch zu einer tiefgreifenden persönlichen und künstlerischen Veränderung. Dieses traumatische Ereignis verstärkte ihre pazifistische Haltung und lenkte ihren Fokus verstärkt auf die Themen Trauer, Verlust und die Sinnlosigkeit des Krieges. Ihre Arbeiten wurden emotionaler und reflektierten ihre persönliche Trauer sowie eine allgemeine Antikriegshaltung.
Ihre Kunst war fortan von tiefer Trauer, aber auch von Zorn durchzogen: Zorn auf ein System, das junge Männer in den Tod schickte. Zorn auf den Militarismus, der Generationen von Müttern ihre Kinder nahm – ihre Werke wurden zur Anklage gegen ein System, das die Schwächsten immer wieder die höchsten Preise zahlen ließ.
In ihrer Grafikserie „Krieg“ (1921–1922) setzte sie sich mit der Trauer und den Folgen des Krieges auseinander. Die Holzschnitte sind düster, roh, ungeschönt. Man sieht keine Helden, keine Soldaten in Uniform, sondern Witwen, Waisen und Mütter in Verzweiflung.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurde Käthe Kollwitz sofort zur Zielscheibe. Ihre Kunst war zu antimilitaristisch, zu sozialkritisch, zu unbequem. Sie verlor ihre Position an der Akademie der Künste, ihre Werke wurden aus Museen entfernt, und sie durfte nicht mehr öffentlich ausstellen.
Bis zu ihrem Tod 1945 zeichnete sie weiter – oft nur noch für sich selbst, oft nur noch in Skizzen. Doch zum Schweigen bringen ließ sie sich nicht.
Heute hängen ihre Werke in Mahnmalen und Museen auf der ganzen Welt – als Erinnerung und als Warnung.
Kunst als Widerstand nach 1945 – Eine Waffe gegen das Vergessen
Die Frage nach der Verantwortung für die Vergangenheit wurde in Deutschland zu einer zentralen Herausforderung der Nachkriegskunst. Wie erinnern wir uns? Wie gehen wir mit Schuld um? Und wo beginnt das Vergessen?
Joseph Beuys stellte sich diesen Fragen auf eine Art, die nicht jedem gefiel. Seine Aktionen und Installationen waren oft irritierend, verstörend – genau das war seine Absicht.
Beuys war kein klassischer Mahner mit Pinsel und Leinwand. Er glaubte daran, dass Kunst ein gesellschaftlicher Prozess ist, dass sie direkt ins Leben eingreifen muss. Mit seinem berühmten Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ meinte er nicht, dass alle malen können oder sollten – sondern, dass jeder Verantwortung dafür hat, mitzugestalten, was um ihn herum passiert.
Dass seine Kunst nie bequem war, machte sie so wirkungsvoll.
Anselm Kiefer malte die Vergangenheit so groß, dass sie nicht mehr zu übersehen war. Seine Werke sind riesig, oft düster, aus dicken Schichten von Farbe und Material. Er nutzt Asche, verbranntes Holz, Blei – Materialien, die an Zerstörung, aber auch an Transformation erinnern.
Auf der ganzen Welt stellen sich Künstler:innen dieser Verantwortung, und das nicht nur in der Malerei oder Performance-Kunst. Der Song des späteren Nobelpreisträgers Bob Dylan „Blowin’ in the Wind“ wurde zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Mit scheinbar einfachen Fragen („How many roads must a man walk down?“) entlarvt der Song die Heuchelei von Freiheit in einer rassistischen Gesellschaft. Und „Bella Ciao“, ursprünglich ein italienisches Partisanenlied, wurde zum Symbol für antifaschistischen Widerstand – und wird bis heute bei Protesten weltweit gesungen.
George Orwell zeichnet in „1984“ eine dystopische Welt, in der Sprache manipuliert, Geschichte umgeschrieben und Gedanken überwacht werden. Jedes Mal, wenn Überwachungsgesetze verschärft oder Desinformation zur Waffe wird, taucht es in der Debatte wieder auf. Bert Brecht nutzte das Theater als politisches Werkzeug. Er brach bewusst mit Illusionen, ließ Schauspieler aus der Rolle fallen, adressierte das Publikum direkt – weil er wollte, dass es nachdenkt, anstatt sich nur unterhalten zu lassen.
Brecht selbst nannte dies den „V-Effekt“, V für Verfremdung: eben die neue, verfremdete Perspektive, die Kunst anbietet, und welche es den Zuschauer:innen, Leser:innen, Hörer:innen, Betrachter:innen erlaubt, der Realität unerwartete Aspekte abzuringen.
Widerstand in der Gegenwart
Die Kunst des Widerstands hat sich verändert – aber ihr Prinzip bleibt gleich. Nicht nur Künstler:innen wie Ai Weiwei und Banksy zeigen, dass Kunst auch in der digitalen Ära ein spitzes Instrument ist. Protest findet heute nicht mehr nur in Museen oder auf der Straße statt – er passiert in Echtzeit, online, weltweit sichtbar.
Unzählige bekannte und unbekannte Künstler:innen nutzen ihre Werke, um marginalisierte Gruppen sichtbar zu machen, über psychische Gesundheit zu sprechen, gegen Rassismus zu kämpfen oder den Klimawandel ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Ihre Kunst erzählt von persönlichem Schmerz und gesellschaftlichen Kämpfen, von Widerstand und Hoffnung.
Eine Gesellschaft ohne Kunst ist eine Gesellschaft ohne Erinnerung, ohne Kritik – und ohne Zukunft. Wir brauchen diese Stimmen, sie sind ein Korrektiv, eine Gegenstimme zu dem, was uns als alternativlos verkauft wird. Gerade in Zeiten politischer Umbrüche und gesellschaftlicher Spaltungen.
Kunst darf nicht schweigen. Sie erinnert daran, dass Widerstand möglich ist, und dass er nötig bleibt.