März 29, 2023

Vor einigen Wochen haben Stefan und ich eine neue, spannende Tradition begonnen. Sonntags, wenn wir gemütlich am Frühstückstisch sitzen, schnappen wir uns ein Kunstbuch und wählen gemeinsam ein Gemälde aus. Wir betrachten es genauer und lassen uns von seiner Schönheit und Geschichte inspirieren. Im Laufe der Woche vertiefen wir unser Wissen über die Epoche, den Kunststil und die Hintergründe des Gemäldes.

Es weckt unsere Neugier und es macht Lust auf mehr. Zwar auf unterschiedliche Weise und zu unterschiedlichen Themen, aber es hat uns beide inspiriert. Bei mir ist es die Symbolsprache der Bilder, die mich begeistert.

Deshalb habe ich beschlossen, meine eigene kleine Tradition zu begründen. Ich werde mich ab und zu mit verschiedenen Symbolen auseinandersetzen und meine Erkenntnisse in einem Blogbeitrag mit dir teilen. Heute beginne ich mit dem Spiegel, ein ausgesprochen vieldeutiges Symbol. Ich freue mich schon darauf. Du dich auch?

Kreativität trifft Bedeutung: Wie Symbole die Kunst bereichern

Ich hole kurz aus: Weshalb werden Symbole in der Kunst überhaupt verwendet? Das hat eine lange und bedeutende Geschichte, die bis in die Antike zurückreicht. Einer der Gründe dafür war, dass viele Menschen früher nicht lesen konnten. Symbole boten eine einfache Möglichkeit, dem Betrachter Geschichten nahezubringen. Sie wurden in mythologischen Erzählungen und religiösen Darstellungen verwendet, um Gottheiten anhand ihrer Attribute erkennbar zu machen oder abstrakte Konzepte und Charaktereigenschaften zu visualisieren. Auch in der Renaissance wurden Symbole genutzt. Dort hatten sie oft den Zweck, den sozialen Status der Dargestellten zu zeigen.

Der niederländische Künstler Hieronymus Bosch versteckte in seinen surrealen Gemälden oft Symbole, die Ansichten über die menschliche Natur, Religion und Gesellschaft zum Ausdruck brachten. Da Vinci hat angeblich verschiedene Symbole in sein "Abendmahl" eingebaut, die eine versteckte Botschaft über den Glauben und die damaligen Machtverhältnisse beinhaltet. Eine Deutung sieht zum Beispiel in den offenen Fenstern im Hintergrund ein Symbol für die Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis. 

Symbole können eine universelle Sprache sein, die über Sprachbarrieren und historische Kontexte hinweg verstanden werden kann. Sie ermöglichen es Künstlern, Bedeutungen und Botschaften in ihre Kunstwerke zu integrieren und den Betrachtern eine tiefere Ebene der Interpretation zu eröffnen. Gleichwohl erfordern sie gelegentlich einige Deutung.

Hinter verschlüsselten Bildern: Symbolik als politische Protestform

Es gab auch immer wieder Zeiten, in denen Künstler Symbole als eine Art Geheimsprache eingesetzt haben, um Botschaften oder kritische Ideen in ihren Kunstwerken zu verbergen. Insbesondere in politisch turbulenten Zeiten oder autoritären Regimen, in denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt war oder ist, verschlüsseln Künstler subversive oder gefährliche Botschaften, um Repression oder Zensur zu vermeiden. Die Verwendung von Symbolen macht ihre Botschaft weniger offensichtlich - für sie aber auch weniger gefährlich.

Von Narziss bis heute: Der Spiegel als Symbol in der Kunst

Der Spiegel ist in der Kunst ein Gegenstand mit großer symbolischer Kraft. Seine Verwendung geht zurück auf die griechische Mythologie. Der eitle Narziss ist nicht bereit zu lieben und wird dazu verflucht, sich in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben, das er in einer Quelle sieht. Sein Liebesobjekt bleibt für ihn unerreichbar, da das Wasser aufwühlt und sein Spiegelbild verschwindet, sobald er sich ihm nähert. Schließlich stirbt Narziss an unerfüllter Liebe.

So wie in der Geschichte über Narziss und sein Spiegelbild steht der Spiegel in der Kunst häufig für Eitelkeit, Eigenliebe und Oberflächlichkeit. Er ist reduziert auf Äußerlichkeiten. In früheren Kunstwerken wurde der Spiegel oft als luxuriöses Objekt dargestellt, das den Reichen und Mächtigen vorbehalten war. Auch in der Moderne dient der Spiegel gelegentlich als Symbol der Selbstbezogenheit.

Dort wird er oft in Skulpturen und Installationen integriert. Künstlerinnen wie Louise Bourgeois und Yayoi Kusama haben Spiegel verwendet, um immersive Erfahrungen zu schaffen, die die Wahrnehmung des Betrachters von Selbst und Realität herausfordern. Die Künstlerinnen spielen mit dem Reiz des Sehens und Gesehenwerdens. Der Betrachter wird zum Voyeur. 

Zugleich ist die Bedeutung des Spiegels in der Kunst nicht immer negativ besetzt, seine Symbolkraft ist ambivalent und vielschichtig.

Erkenntnis

Wenn wir in den Spiegel schauen, erkennen wir uns selbst und nehmen wahr, wer wir sind und wie wir uns fühlen. Er kann uns die Wahrheit über uns selbst zeigen, die wir zuvor nicht erkannt haben. Egal ob in Kunst, Mythologie, Literatur oder Philosophie - der Spiegel ist auch ein Symbol für Selbsterkenntnis, die Suche nach Wahrheit und Selbstreflexion. Er hilft uns, uns selbst besser zu verstehen. Er zeigt uns, wie andere uns sehen. Der Spiegel dient der Selbstvergewisserung und Identitätsfindung.

Außerdem steht er auch für den Perspektivwechsel. Der Spiegel bietet uns die Möglichkeit, Personen, Dinge oder Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten und somit tiefer in ihre Natur einzudringen. Mit der Hilfe eines Spiegels kann man in Winkel schauen, die dem Auge sonst verborgen bleiben. 

Der Spiegel als Sinnbild der Erkenntnis

Die bußfertige Magdalena

Die ruhige, meditative Stimmung verbunden mit den Vanitas-Symbolen Totenschädel und Kerze weisen in diesem Gemälde auf spirituelle Erleuchtung hin. Der Spiegel ist hier Symbol für innere Einkehr und Sinnsuche.

Illusion

Der Spiegel kann aber auch das genaue Gegenteil bedeuten. Statt für Wahrheitsfindung steht er dann für Illusion und Täuschung. Ein Spiegelbild kann verzerrt oder getrübt sein. Doch selbst wenn der Spiegel eben und perfekt ist, kann er doch nur die Oberfläche widerspiegeln, tiefer er sieht nicht.

Der Spiegel ist ein Meister der Illusion. Durch komplexe optische Täuschungen kann er unsere Wahrnehmung von Realität manipulieren. Betrachtet durch einen Spiegel, können sich die Dimensionen eines Raumes verändern. Er zeigt uns immer nur einen Teil der Wirklichkeit, abhängig vom Winkel, in dem wir hineinschauen. Wir sehen nur eine reflektierte Realität, die nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Das Abbild verliert im Spiegel an Glaubwürdigkeit. 

Der Spiegel ist ein Spielzeug des Lichts, ein Werkzeug der Wahrnehmung und ein Symbol für Täuschung und Illusion.

Der Spiegel als Sinnbild der Illusion

Die verbotene Reproduktion

Das Gemälde von René Magritte verdeutlicht, dass ein Spiegel nur ein Abbild der Wahrheit sein kann. Er zeigt sie leicht verändert. Der Spiegel vertauscht zwar nicht rechts und links, dafür aber vorn und hinten. Für uns sichtbar ist immer nur eine Seite, der Rest bleibt im Verborgenen.

René Magritte | 1937
Sammlung Edward James, 
Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam

Schönheit

Von der Antike bis zur Gegenwart haben Künstler den Spiegel als ein ikonisches Symbol der Weiblichkeit und der Schönheit genutzt. Die römische Göttin Venus wird oft mit einem Spiegel dargestellt, der ihre Schönheit und ihr Selbstbewusstsein betont.  In der Porträtmalerei dient der Spiegel häufig als Requisit, um die Schönheit und den Charakter der dargestellten Person zu unterstreichen.

Darüber hinaus steht er auch für Reinheit oder die Göttlichkeit selbst. In vielen Kulturen und Religionen gilt der Spiegel als ein heiliges Objekt, das die Seele widerspiegelt und die Verbindung zum Göttlichen symbolisiert. In der chinesischen Kunst beispielsweise wurde der Spiegel als Symbol für das Auge des Himmels betrachtet und als heiliger Gegenstand verehrt. Christliche Kunst setzt den Spiegel ein, um die Reinheit der Jungfrau Maria zu symbolisieren. 

Der Spiegel als Sinnbild der Schönheit

Venus vor dem Spiegel

In diesem Gemälde des spanischen Malers können wir die Göttin Venus nur in der Rückansicht sehen. Ihr Antlitz ist lediglich im Spiegel zu erkennen. Das symbolisiert die Göttlichkeit, deren direkter Anblick den Sterblichen bei Tode verboten ist.

Diego Velázquez | 1647–1651
National Gallery, London

Vergänglichkeit

Oftmals wird der Spiegel als Metapher für das menschliche Leben verwendet. Er fordert den Betrachter auf, über sein Leben nachzudenken. Der Spiegel reflektiert das Vergängliche und macht deutlich, dass  Schönheit und Jugendlichkeit nicht von Dauer sind.

In Vanitas-Darstellungen wird der Spiegel häufig verwendet. Dabei handelt es sich um Stillleben, die verschiedene Gegenstände wie z.B. einen Totenschädel, eine Uhr, eine brennende oder erloschene Kerze und einen Spiegel zeigen, um die Vergänglichkeit des Lebens, die Illusion der Schönheit und Jugend und die Sterblichkeit des Menschen zu betonen. Der Begriff "Vanitas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Eitelkeit" - und zieht Nebenbedeutungen von "Vergänglichkeit" oder "Nichtigkeit" mit sich.

Das Vanitas-Motiv soll den Betrachter daran erinnern, dass alle irdischen Dinge vergänglich sind und dass der Tod unvermeidlich ist. Weitere typische Elemente, die in Vanitas-Darstellungen zu finden sind, sind beispielsweise welke Blumen und Schädlingsbefall an Nahrungsmitteln.

Der Spiegel als Sinnbild der Vergänglichkeit

©KHM-Museumsverband

Die drei Lebensalter und der Tod

Das Mädchen bewundert im Spiegel ihre Jugend und Schönheit. Doch wenn wir genau hinsehen, erkennen wir, dass nicht sie, sondern der Tod sich in ihm spiegelt.

Hans Baldung Grien | 1509/1510
Kunsthistorisches Museum, Wien

Die vielen Gesichter des Spiegels: Interpretationen und Bedeutungen in der Kunst

Neben Eitelkeit, Erkenntnis, Illusion, Schönheit und Vergänglichkeit kann der Spiegel in der Kunst viele weitere Aspekte repräsentieren.

Dualität: Durch die Spiegelung entsteht eine Art Zwillingsbild, das dem Original sehr ähnlich, aber dennoch anders ist. Dualität und Gegensätze sind in Kunst und Philosophiegeschichte ein typisches Orientierungsmuster – wie männlich und weiblich, Leben und Tod oder Gut und Böse. 

Mystik und Magie: Der Glaube, dass der Spiegel Zugang zu einer anderen Welt oder zu anderen Dimensionen eröffnen kann, ist in vielen Kulturen verbreitet. In der Literatur wird der Spiegel oft als Tor zu anderen Welten oder Dimensionen verwendet, in denen sich Geister, Dämonen oder andere übernatürliche Wesen befinden können. Eines der berühmtesten Beispiele: Alice hinter den Spiegeln von Lewis Carroll.

Distanz: Der Spiegel zeigt nicht nur eine Spiegelung, sondern auch eine räumliche Trennung zwischen dem Betrachter und dem Spiegelbild. Dies kann auf das Konzept der Entfremdung und Isolation hinweisen. Im japanischen Theater dient der Spiegel als Symbol für die Entfernung zwischen der Darstellung auf der Bühne und der Wirklichkeit. Durch den Spiegel wird auf der Bühne die Illusion einer "anderen Welt" erzeugt, die von der realen Welt getrennt ist. Durch den Spiegel wird der Zuschauer auf subtile Weise daran erinnert, dass das, was auf der Bühne passiert, nicht die Wirklichkeit ist, sondern eine Art Traumwelt, die durch die Darsteller erzeugt wird.  

Spieglein, Spieglein an der Wand - Welche Bedeutung ist es nun?

Unter all den Bedeutungen, welche ist nun die Richtige? Wie liest man den Spiegel in einem Bild richtig und erkennt seine spezifische Bedeutung?

Um die Bedeutung des Spiegels in einem Bild richtig zu lesen, ist es wichtig, die umgebenden, oft unterstützenden Faktoren zu beachten. Wie ist der Spiegel dargestellt, ist er im Vorder- oder Hintergrund zu sehen? Ist er zentrales Thema oder Beiwerk? Welche weiteren Gegenstände sind abgebildet? Ebenso ist der historische und kulturelle Kontext der Bildentstehung von entscheidender Bedeutung. Ein erster Schritt, den Spiegel in einem Kunstwerk zu verstehen, ist daher zunächst den Kontext zu entschlüsseln.

Das Zusammenspiel verschiedener Bedeutungen

Die Arnolfini-Hochzeit

In van Eycks Gemälde kommen dem Spiegel gleich mehrere Funktionen zu. Zum einen zeigt er den Reichtum des Bräutigams, das ist auch an der luxuriösen Ausstattung wie z.B. dem Pelzbesatz des Umhangs zu sehen. Der Rahmen deutet auf eine religiöse Bedeutung hin, denn es sind Szenen aus der Passion Christi in ihn hinein geschnitzt. Die Klarheit des Glases steht für die Reinheit der Jungfrau Maria - und damit auch gleich für die Tugendhaftigkeit der Braut.
 

Zuletzt ist in dem Spiegel neben dem Ehepaar auch der Maler selbst zu sehen. Er bezeugt die Eheschließung (darauf deutet auch die Inschrift über dem Spiegel hin: "Jan van Eyck war hier").
Es ist nicht ganz klar, wer auf dem Gemälde dargestellt ist. Lange ging man davon aus, dass es sich um Giovanni Arnolfini und seine Braut Giovanna Cenami handelt. Es könnten aber auch sein jüngerer Bruder Michele Arnolfini und seine Frau Elisabeth sein.

In dem Fall wäre das Zeugnis van Eycks in dem von dem Bräutigam beauftragten Bild von einiger Bedeutung, Die beiden führten eine morganatische Ehe, da Elisabeth von niedrigerem Stand war.
In einer morganatischen Ehe hatte der Partner mit niedrigerem Stand keine Ansprüche, er wurde quasi nicht in die Familie aufgenommen und weder er noch seine Nachkommen waren erbberechtigt - weshalb für die Eheschließung keine Zeugen nötig waren.

Der gewölbte Bauch zeigt keine Schwangerschaft, steht aber für Fruchtbarkeit, die Holzpantinen stehen für Häuslichkeit, der Hund für eheliche Treue, die Geste des Mannes ist segnend. Alles in allem kann man wohl sagen, dass das Gemälde für eine im damaligen Sinne gelingende Ehe steht.

Jan van Eyck | 1434 - National Gallery, London

Lass uns die Welt der Kunstsymbole weiter erforschen!

Wie hat dir dieser kurze Einblick in die Welt der Kunstsymbole gefallen? Ich bin jedenfalls Feuer und Flamme. Ich werde mich unbedingt weiter mit diesem Thema beschäftigen. Wie ist deine Meinung dazu?
Hast du vielleicht schon Erfahrungen mit der Interpretation von Kunstsymbolen? Ich würde mich freuen, von deinen Gedanken und Erfahrungen zu hören. Schreib mir gern einen Kommentar!

Bist du an diesem Thema interessiert? Dann solltest du meine kommenden Blogbeiträge nicht verpassen. Ein Artikel zu welchem Symbol würde dich am meisten interessieren?
Bis dahin wünsche ich uns viel Freude beim Entdecken und Verstehen der faszinierenden Welt der Kunst!

Deine Lea

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About the Author Lea Finke

Lea Finke ist Künstlerin mit ganzer Seele. In ihrem Blog erzählt sie von Inspiration, Leidenschaft und der Begegnung mit Kunst.

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