Es ist wieder Zeit für ein neues Interview in meiner kreativen Reihe, und ich freue mich riesig, euch heute den nächsten Künstler vorstellen zu dürfen - wobei das Vorstellen nicht ganz wörtlich zu nehmen ist, denn er verbirgt sich hinter einem Pseudonym: Peter Hope (oder auch nicht).
Hope hat sich durch zahlreiche journalistische Arbeiten, Hörspiele, Theatertexte und Kurzprosa-Veröffentlichungen einen Namen gemacht. Seine Hörspiele wurden von renommierten Sendern wie dem Bayerischen Rundfunk, SWR, WDR und Radio Bremen produziert. Im Laufe seiner Karriere hat er mehrere Literaturpreise gewonnen und wurde für seine Arbeiten mit verschiedenen Stipendien ausgezeichnet.
Vorab fasst Peter das Interview mit einer Überschrift zusammen:
Kunst ist Liebe
Vorstellung
Wie ist dein Name?
Weiß ich noch nicht. Mein nächster Roman wird pseudonym erscheinen, auf Englisch. Wie wäre es mit Peter Hope*? Das ist vielleicht etwas zu sprechend … Also eher nicht.
Du siehst: Ich überlege noch ...
Wo lebst du?
Im Rheinland in Deutschland. Es ist dies die Region der Kommunikation und der Lust am sprachlichen Ausdruck – was sicher mit der historischen Rolle des Rheins als Handelsweg zu tun hat.
Düsseldorf, mit seiner relativen Nähe zu Frankreich (das Rheinland war von 1806 bis 1813 und noch einmal 1921 bis 1925 französisch besetzt), die auch seine Sprache bereicherte - so ist etwa "aus der lameng" (von la main) ein Stück Frankreich in Westdeutschland... Düsseldorf, will ich sagen, ist ganz besonders eine Stadt der Kommunikation und der Lust an der Kommunikation - viel mehr als das selbstverliebte Köln, zum Beispiel, und noch viel, viel mehr als etwa Schwaben.
Also das Rheinland. Wenn in Deutschland, was die Kommunikation angeht, irgendwo ein beredtes, selbstironisches Italien ist - dann hier.
Welche Art von Kunst/Kreativität machst du hauptsächlich? (Malerei, Skulptur, Fotografie, digitales Design, etc.)
Ich schreibe Texte – Prosa, Theater, Kurzgeschichten, Sachtexte. Ich liebe es. Schreiben, Lesen ist „das Größere“, von dem ein Teil zu sein mich erfüllt.
Der zu Unrecht verstorbene Martin Walser sagte einmal: „Man muss atmen. Man muss schreiben.“ Exactly!
Hast du eine formale Ausbildung absolviert, oder bist du Autodidakt:in?
Beides! Ich habe gleich mehrere Ausbildungen in meinem Bereich absolviert, an verschiedenen Unis – z.B. den künstlerischen Studiengang zum Schriftsteller am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig; das Zertifikatsstudium am Studio Literatur und Theater an der Uni Tübingen; Creative Writing-Seminare an der ETH Zürich -, bei Schriftsteller*innen der alten Schule (Christa Wolf, Adolf Muschg) und jüngeren (Uwe Kolbe, Thomas Hürlimann).
Ich habe allerdings schon mit 10 angefangen zu schreiben, und als ich an die Uni kam, hatte ich meine 10.000 Stunden im Weinberg der Kunst, die man bekanntlich braucht um einen gewissen Grad an Können zu erreichen, bereits hinter mir.
Deshalb konnte ich mit 19 schon anfangen, an ernsthafter Stelle zu publizieren.
Wo kann man deine Arbeiten sehen? Hast du eine Website oder Social-Media-Profile, die du teilen möchtest?
Da ich unter Pseudonym schreibe: Ja, man kann meine Arbeiten sehen, einige sogar mit Preisen und/oder Stipendien belehnt, einige vielfach wiederholte Hörspiele und anderes; aber ich verrate nicht, wo.
Du bist kreativ. Warum?
Weil für mich nichts anderes zählt. Punkt.
Und dann doch noch mehr: Man nimmt das Leben, wie es kommt - und erhöht es, spitzt es zu, durchdenkt es, strafft es, spielt damit, kurz: Man tut etwas damit. Statt passiv zu erleben, gestalte ich meine Realität in meinem Werk aktiv nach und um.
Genauer gesagt: Kunst transzendiert die Realität und bringt sie ins Gespräch mit sich selbst.
Einer meiner ersten Professoren, der geschätzte öffentliche Intellektuelle der alten Bundesrepublik Walter Jens, sprach gern von „‘Aufheben‘ im Hegel’schen Dreisinn“: In der Kunst wird die Realität aufgehoben, indem sie sie übersteigt, erhöht und bewahrt.
Wie bist du zur Kunst gekommen? Wo hat deine kreative Reise begonnen?
Meine ältere Schwester hat mir einmal erzählt, dass ich schon als Kind alles, wirklich alles gelesen habe, was mir in die Finger kam. Bücher, Frauenzeitschriften, Backanleitungen, noch mehr Bücher, Fernseh-Illustrierte, Bildertitel (hier: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“, oder – vom selben Künstler - „Saturn verschlingt seine Kinder“, ist das nicht herrlich?), Konversationslexika – jeder Zettel, der irgendwo herumlag, musste gelesen und verstanden werden.
Ich erinnere mich, dass meine Eltern einmal nachhause kamen, und ich, mit einem Band des elterlichen Lexikons in der Hand, die Armen siebenjährig mit der Frage überfallen konnte: „Was ist Determinismus?“
Heute bin ich nicht weniger neugierig als damals.
Ein beschriftetes T-Shirt zieht mich magisch an, ich habe sicher schon hunderte Frauen oder auch Männer irritiert, weil ich ihnen vermeintlich auf die Brust gestarrt habe (oder auf den tätowierten Hals) – was ich aber gar nicht tat: Ich versuchte in der Regel nur zu lesen, was dort stand.
Du kannst nichts auf deinen Hals schreiben und erwarten, dass ich weggucke.
Texte sind, wieder im Hegel’schen Sinn, „aufgehobene“ Sprache. Ich wusste immer schon, dass man ihnen unrecht tut, wenn man sie nicht liest – und dadurch ihre Informationen verloren gehen.
Warum ist der Stein von Rosetta das meistbesuchte Artefakt im Britischen Museum in London? Weil er das gesamte Alte Ägypten, das verstummt war, plötzlich wieder zur Sprache brachte.
Selbst eine uninteressante Information spricht Bände, und sei es über diejenigen, die sie austauschen. Und weil ich Texte – nicht nur als Ausdruck, Sprache, Kommunikation, sondern eben als Backanleitung für die Realität - immer schon geliebt habe, wollte ich schon sehr, sehr früh lernen, wie man sie schreibt.
Ich wollte nie „Schriftsteller werden“. Ich wollte einfach schreiben, texten, erzählen.
Was inspiriert dich?
Alles, was danach ruft, ein Text zu werden – und das ist nun einmal alles. Heinrich Böll hat einmal gesagt, dass eine halbe Waschküche reiche, um einen Roman darüber zu schreiben.
Dadurch bin ich allerdings auch gefährdet: Meine Schwierigkeit liegt nicht darin, interessante, inspirierende Ideen zu finden - sondern diejenigen, die zu mir passen, herauszudestillieren.
Oft weiß ich, was zu mir passt, erst, wenn ich es geschrieben habe. Und ich muss aufpassen, Ideen, die nur fast zu mir passen, nicht durch Routine oder Handwerk so weit zu treiben, dass sie gut aussehen – aber eigentlich nicht das sind, was den Kern meiner Kunst ausmacht: Meinen Ton, meine Perspektive, das, was typisch ist für meine Art zu erzählen.
Gibt es bestimmte Künstler oder Stile, die dich beeinflussen?
Beeinflussen, absolut. Ungeordnet die wichtigsten, die mir einfallen: Sophokles, Brecht, Goya, Max Frisch, Uwe Johnson, William Faulkner, Shakespeare, Jelinek, Joanne K. Rowling (ja, auch die!), Marquez, Vargas Llosa, Hilary Mantel, Salman Rushdie, Dshingis Aitmatow, Tolkien… und viele andere mehr.
Wie sieht dein kreativer Prozess aus?
Welche Materialien und Werkzeuge verwendest du am liebsten und warum?
Ich arbeite in Schichten am Text, schreibe gleichzeitig rückwärts und vorwärts, füge hier etwas ein, ergänze dort einen Spannungsbogen – in meiner Frühzeit (ich stamme noch aus der analogen Zeit) ein fast unüberschaubarer Zettelwust; heute so einfach.
Der Computer wurde quasi für mich erfunden.
Gibt es ein bestimmtes Projekt oder Werk, das dir besonders viel bedeutet?
Immer das, an dem ich gerade arbeite.
Oft verstehe ich meine eigenen Sätze nicht, wenn ich sie kurze Zeit später wieder höre oder lese. Warum? Weil ich mich dadurch, dass ich sie fertiggestellt habe, emotional von ihnen gelöst habe.
Brecht: „Wie lange dauern die Werke? So lange, als bis sie fertig sind. So lange sie nämlich Mühe machen, verfallen sie nicht.“
Erst viel später, wenn sie von außen auf mich zukommen (in einer Lesung, in einem Brief von einer Schulklasse, in einer Rundfunk-Vertonung), kann ich sie wieder gut finden.
Was war die größte Herausforderung, die du als Künstler bisher überwinden musstest?
Ich habe einmal offen, neugierig auf das intellektuelle Abenteuer, interessiert, was man über sich herausfinden kann, eine Psychoanalyse begonnen. Für einen genuinen Künstler ein schwerer Fehler. In diesem Milieu sind Charme, Eloquenz, „urbanes Parlando“ (Walter Jens), Liebe zur Literatur, Leidenschaft zum Erzählen nur Namen von Krankheiten.
Dieser Mist war die furchtbarste Erfahrung meines Lebens – die mich über zwanzig Jahre zurückgeworfen hat.
Dass ich das überlebt habe (als Person, als Künstler), erstaunt mich immer noch selbst.
Wie wichtig ist dir die Verbindung und Interaktion mit anderen Künstlern und Kreativen?
Wichtig. Aber oft mit Vorsicht zu genießen.
Auch hier gibt es das sich selbst überschätzende bärbeißige Mittelmaß (wie in der Psychoanalyse), vor dem man sich schützen muss.
Was bedeutet Kunst für dich? Welche Rolle spielt sie in deinem Leben?
Alles. Soll ich Kriege führen oder Hemden verkaufen? (Wie mein Vater, für den wiederum dies das Leben war.) Das kann ich nicht.
Ohne Kunst, ohne den weltverliebten Ausdruck der Zivilität großer Kunst hat das Leben für mich ebenso wenig einen Sinn wie für einen Bäcker ein Leben ohne Mehl.
Welche Rolle spielt deiner Meinung nach Kunst in der Gesellschaft? Welche Aufgaben haben Künstler:innen in der Gesellschaft?
Die wichtigsten sind, glaube ich, oben schon angeklungen.
Warum sind Diktatoren, Militärs, Religionen, Autoritäre so scharf darauf, Kunst und Künstler zu verfolgen, sie zu verbieten, mörderische Fatwas auszusprechen und ihnen das Messer in den Rücken zu stoßen, ?
Weil die Kunst alles, alles in Frage stellt, Alternativen durchspielt (oder auch nicht), und überall nach dem Anderen, dem Besseren sucht - was übrigens eine Form von Liebe ist.
Das Autoritäre – das Gegenteil der Inspiration (vgl. die Interpretationsklischees der Psychoanalyse) - erträgt diese Liebe nicht, vielleicht auch aus uneingestandenem Neid auf die Lebensmöglichkeiten der anderen; es ist geprägt von dem Hass auf die Liebe der anderen.
Das Autoritäre ist immer das Gegenteil von Spiel, Kreativität, der Offenheit für das Neue, die Vielstimmigkeit der Demokratie, die genaueste Annäherung an eine Situation, einen Gegenstand, ein Verhältnis.
Diese Genauigkeit aber ist es, die zählt. Es ist kein Wunder, dass dies in autoritären Verhältnissen durchschlägt bis in die psychische Verfasstheit des Einzelnen - dass man immer wieder hört, "Das ist mir zu kompliziert", oder die Abwertung von intellektueller Präsenz als "Empfindlichkeit" (psychoanalytisch geprägte Therapie), mit dem Credo: "Was kompliziert ist, das hat man nur noch nicht verstanden."
Ein furchtbarer Satz, nicht wahr? Die selbstgewisse Feier des Simplizismus. Er leugnet die Suchbewegung, die tentative Erklärung des Komplexen.
Und ja, das ist manchmal kompliziert. Auch dafür ist die Kunst da. Sie darf komplizierte Antworten auf komplexe Fragen geben.
Man muss den Unsinn einfach vom Kopf auf die Füße stellen: Was komplex ist, das ist nun einmal komplex.
So einfach ist das.
Wer seine Klischees zu verteidigen hat, muss mental (oder auch in der Wirklichkeit) über Leichen gehen.
Da ist Liebe eben eine Krankheit.
Die Kunst aber erinnert immer wieder, pausenlos, niemals zur Kapitulation bereit, an diese Liebe.
Und an den Schmerz, sie zu verlieren.
Welche Themen sind dir wichtig? Gibt es ein Thema oder eine Botschaft, die du in deiner Kunst transportieren möchtest?
Mein Thema ist, das dürfte klar geworden sein, das versteckt Autoritäre - das den Boden bereitet für das offen Autoritäre, mit dem die westlichen Gesellschaften gerade zu tun haben.
Es ist aber nicht so, dass ich eine Botschaft habe, und die dann einwickle in einen Text. Dabei würde nur AgitProp herauskommen.
Sondern umgekehrt – ich schreibe einen Text, und wenn er genug Realität enthält, wird er auch schon etwas über sie aussagen.
Und sei es nur die, dass man abseits des Autoritären suchen muss, um, wenn es gut läuft, sein Leben zu einem gelingenden zu machen.
Vielen Dank für deine inspirierenden Antworten, Peter!
Jetzt bist du dran
Hat dir das Interview gefallen? Wie immer freue ich mich über jeden Kommentar und jede Anregung.
Wenn du auch Lust hast, meine Fragen zu beantworten und deine kreative Reise zu teilen, melde dich gerne bei mir. Sehr gerne würde ich deine Geschichten und Ideen in einem Interview erfragen.
Das freut mich, Kate!
Tolles Interview und spricht mir so sehr aus dem Herzen. Ich mag die Art wie du deine Texte schreibst und lese deine Blog-Beiträge immer gern. Danke, dass du dir dafür die Zeit nimmst und ich immer wieder etwas Neues entdecken darf.
Vielen Dank für deine Rückmeldung, Kate. Bei der Interview-Serie stelle ich natürlich nur die Fragen, aber für mich ist es auch unglaublich spannend zu sehen, wie jede:r Künstler:in darauf antwortet. Ich freue mich so sehr über dein Lob! Dankeschön, dass du dir die Zeit nimmst, meinen Blog zu lesen.