Ich mag die Stille. Das In-mir-Sein, das Langsame. Und doch frage ich mich manchmal, wann sie kippt. Wann aus Ruhe Rückzug wird. Aus Rückzug Abschottung. Dann wird aus Stille Taubheit, so dass ich mich selbst nicht mehr hören kann. Zurzeit geht es mir ein bisschen so.
Ich gehe anders durch meine Tage. Unbestimmter, leiser, abgeschnittener. Mein innerer Rhythmus ist langsamer geworden. Mir ist gerade alles zu viel. Ich will gerade nichts machen und habe doch so viel zu tun. Ich befinde mich in einer Art Zwischenzustand, in dem ich meinen Gedanken ausgeliefert bin.
Bin ich Künstlerin, wenn ich nicht male?
Es gibt Tage, da sehe ich das nicht. Wenn ich nichts produziere, keine Farben anrühre, kein Bild fertig wird, habe ich das Gefühl zu verschwinden. Ich habe nichts mehr zu zeigen, nichts mehr zu sagen. Meine Kreativität wartet darauf, dass ich wieder atmen kann.
In unserer Gesellschaft ist ein Mensch eng mit seiner Produktivität verknüpft. Wenn man neue Leute kennenlernt, ist die Frage nach dem Beruf meist eine der Ersten. Wer wir sind, definiert sich darüber, was wir tun. Und obwohl ich eigentlich ganz anders denke, merke ich manchmal, dass auch ich diese Denkweise verinnerlicht habe. Nicht anderen gegenüber, aber mir selbst.
Ein Zustand, wie mein momentaner, ist ein Einfallstor für jede Art von Selbstzweifeln. Und das bedingt sich dann gegenseitig. Zweifle ich, weil ich nicht male oder male ich nicht, weil ich zweifle?
Vielleicht arbeitet auch nur etwas in mir, das sich erst Bahn brechen muss. Jedenfalls ist so ein Zustand nicht leicht auszuhalten.
Weltgeschehen à la Geschichtsvergessenheit
Aushalten, das fällt mir auch zunehmend schwerer, wenn es um die Nachrichten geht. Die anwachsende Ausländerfeindlichkeit, die Normalisierung rechter Rhetorik, das Erstarken der AfD – nicht am Rand, sondern in der Mitte! Manchmal denke ich, wir befinden uns mitten in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.
In mir setzt sich eine Mischung aus Wut, Angst und Lähmung fest. Die neue Regierung wird dem auch nicht entgegensteuern. Im Gegenteil, sie heizt es noch an. Und dann blicke ich in die USA – und sehe, was schon nach wenigen Monaten Trump-Politik wieder möglich ist. Und wie wenig Distanz es braucht, bis Unmenschlichkeit wieder als Meinung gilt.
All das wirkt in mir – lauter, wenn ich es nicht in Bilder verwandeln kann. Wenn ich nicht male, verändert sich mein Blick. Kunst ist für mich wie eine Lupe. Sie hilft mir, Dinge präziser wahrzunehmen. Aber sie wirkt auch wie ein Filter für mich, denn sie hilft mir, zu verarbeiten. Gerade fehlt mir beides.
Neugierig bleiben
Nächste Woche geht es ans Meer. Kein langer Urlaub, aber ein lang ersehnter. Sonne, Salzluft, andere Farben. Ich freue mich auf das Weite – und auf das Kleine. Ich freue mich darauf, meine Neugierde wiederzuentdecken. Auf Dinge, die keinen Zweck erfüllen müssen. Auf das Nebensächliche, für das ich gerade kein Auge habe. Ein Schatten auf einer hellen Wand. Die Struktur von Muscheln. Geräusche, die ich hier nie höre.
Wenn ich zurück bin in meinem Atelier, hoffe ich, dass meine Inspiration wieder aus dem Vollen schöpfen kann.
Natürlich kann es nicht immer ein Urlaub sein – jedenfalls nicht so oft, wie ich es gern hätte. Aber ein Perspektivwechsel verändert den Blick. Das geht auch zu Hause.
Zwischenzustände
Ich weiß nicht, wann das nächste Kunstwerk entsteht. Jetzt werde ich erstmal unterwegs sein. Und das genügt fürs Erste. Manche Tage bleiben einfach fragmentarisch. Gedanken, Gefühle, Beobachtungen – sie stehen nebeneinander. Vielleicht fügen sie sich irgendwann zu einem Ganzen.